digital seit 2020
digital seit 2020

Freischaffende Künstler*innen möchten in einem Kurzfilm die Kunst und Kultur auferstehen lassen

Ein Interview mit der Regisseurin und Künstlerin Helen Ispirian

Worum geht es in deinem Kurzfilm?

Es geht um Glaube, Liebe, Hoffnung – auf die Kunst und Kultur bezogen. Wir sind im Jahr 2028 und die Kultur ist ausgestorben. Corona gibt es immer noch, da es ja auch immer wieder mutiert. Was wir ja auch grade selbst erfahren. In dem Kurzfilm gibt es drei Figuren, deren Namen eigentlich schon einiges verraten. Solidarosa, Creativia und Financietta. Zusammen beten sie zu den Göttern der Kunst und möchten die Kultur auferstehen lassen. Solidarosa und Creativia versuchen, Financietta zu überzeugen. Die drei Frauen sind sozusagen Nachfahren der Spezies Künstler*innen. Das Ganze ist natürlich auch mit einem Augenzwinkern zu betrachten. Mittlerweile habe ich jedoch das Gefühl, dass es nicht nur um die Finanzen geht, sondern auch um die Solidarität. Wenn ich das Drehbuch nochmal schreiben würde, hätte ich vielleicht Solidarosa in einen Dornröschen-Tiefschlaf versetzt. Ich habe während der Entwicklung des Films sehr viel Solidarität erhalten – nicht immer von den Menschen, von denen ich sie erwartet hätte, sondern zumeist von ganz anderen. Es ist aber auch verständlich, da jeder momentan mit seinen eigenen Problemen zu tun hat. Viele, die mir gegenüber solidarisch waren, sind auch freie Künstler*innen, die in ähnlichen Situationen stecken. In der Krise zeigt sich besonders die Frage nach der Solidarität.

Was bedeutet der Film für dich darüber hinaus?

Für mich war der Film eine Chance, nicht in ein Jammern und in eine Opferrrolle zu verfallen, sondern künstlerisch aktiv zu bleiben. Uns Künstler[*inne]n geht es in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern noch sehr gut. Trotzdem muss man mit der eigenen Situation fertig werden. Ein künstlerisches Projekt ist doch eine gute Möglichkeit, um dieses Gefühl auszudrücken. Das war für mich sehr wichtig. 

Wie bist du auf die Idee gekommen und gab es einen bestimmten Auslöser?

Am Anfang, während des ersten Lockdowns, war es alles noch sehr spielerisch. Ich habe spontan den Text des Duetts “Komm, süße Freiheit!” von G.F.Händel umgeschrieben. Und dann haben wir es just for fun geprobt. Schnell war aber klar, dass es gar nicht ins Programm von OrgaVoce – ein Ensemble, das geistliche Vokalmusik mit Orgelbegleitung in Gottesdiensten aufführt. Ich habe das Stück dann für Chor arrangiert und weiter am Text gefeilt. Freunde von mir meinten, dass es ja gar nicht mehr aktuell ist und was ich überhaupt damit will. Und dann wurde es einfach noch aktueller. Um das Stück herum habe ich dann nach und nach die Geschichte geschrieben mit den drei Frauen. Und dann habe ich die Sopranistin hinzugeholt. So entstand es einfach. Am Anfang hatte ich auch Null Euro, habe dann aber nach und nach von der UdK aus verschiedenen Töpfen Geld bekommen. Es ist nun zwar immer noch eine Low-Budget-Produktion, aber es ging auch nicht anders. Ich stand eben vor der Situation – ich mache es jetzt oder gar nicht. Angesichts der Tatsache, dass es später eh nicht mehr aktuell sein wird, konnte ich jetzt nicht noch ein Jahr erstmal nach einer Filmförderung suchen und das beantragen. Deswegen musste man dann einfach sagen, wir machen das jetzt. Wir wollen kreativ sein und wir halten uns auch an die hygienischen Regeln. Wir hatten sogar eine zertifizierte Hygienebeauftagte. Es war dann wie ein Selbstläufer und es gab dann auch kein Zurück mehr.

Gibt es bis jetzt schon Kritik an dem Film?

Der Film selbst wurde ja noch nicht veröffentlicht. Wir hoffen, dass er in diesem Jahr auf einem schönen Filmfestival Premiere haben wird. Der Trailer kommt bisher sehr gut an. Dennoch gibt es einige wenige, die sich an der dystopischen Idee stören oder solche, denen der Titel missfällt, weil das Wort “Freiheit” im Zusammenhang mit den Corona-Massnahmen bereits von bestimmten Leuten missbraucht wurde. Allerdings ist der Filmtitel den beiden Duetten von Schütz und Händel entlehnt. Wir haben es akzeptiert, dass bestimmte Maßnahmen notwendig sind, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen.

Wieso gerade ein Film? Man hätte ja auch ein Theater, Musik oder nur Tanz machen können. Du hast aber alle Künste miteinander verbunden. Hat das einen bestimmten Grund? 

In letzter Zeit war ich vor allem als klassische Chorsängerin tätig. Mein letztes Engagement war das Verdi-Requiem mit den Bamberger Symphonikern. Ich habe aber ursprünglich ein Musical-Studium absolviert an der Musikhochschule in Wien. Es hat mich dann aber auch mehr zum Sprechtheater und Chansons hingezogen. Als Kind habe ich viel getanzt und kam so überhaupt zum Musical. Die Kombination Schauspiel, Gesang und Tanz fand immer schon sehr spannend. Doch das Genre Musical war nicht wirklich meins. Einen Film habe ich vor allem deshalb gedreht, weil man ja keine Life-Auftritte mehr machen durfte und ich es  auch toll finde, wenn man die Genres aufbricht und dann verschiedene Disziplinen zusammenbringt. Das Projekt wurde dann viel größer als erwartet.

In dem Film greifen Realität und Zukunft ineinander, indem das Bild, das gezeichnet wird, teils mit unsere jetzigen Lage übereinstimmt. Siehst du es als ein dystopisches Szenario oder vielmehr als ein realistisches? 

Dadurch das uns das Virus schon so lange begleitet, ist das Thema des Films erschreckend realistisch geworden. Eine Person hat mir zum Beispiel geschrieben, sie fand den Trailer zu endstimmungshaft. Die Idee der Dystopie ist da natürlich schon drin. Ich mag aber auch schwarzen Humor wie den von Georg Kreisler oder Kabarettisten wir Josef Hader oder Tragikkomödien. Der Film zeigt dem Zuschauer “the worst possible case” und bringt ihn so hoffentlich zum Nachdenken über den jetzigen Zustand. Ich möchte damit warnen und auf uns freie Künstler*innen aufmerksam machen. Wir Künstler*innen spüren schon jetzt die prekäre Situation. Für nicht wenige ist es eine Existenzfrage. Der Film spiegelt also noch nicht ganz die Realität wider, denn wir sind immer noch hier und sind aktiv. Dennoch gibt es ja Kultursterben. Langfristig muss man irgendwie eine Strategie finden, um mit dem Virus oder der Mutation umzugehen. Im Moment kann man sich eine Kulturveranstaltung ohne Hygienebedingungen gar nicht mehr vorstellen. Die Kulturschaffenden haben sich in dieser Hinsicht auch ungerecht behandelt gefühlt, dass man dann auf der einen Seite Kulturveranstaltungen mit sehr gut ausgearbeiteten Hygienekonzepten geschlossen hat, während auf der anderen Seite dann Ski gefahren werden konnte oder das Black-Frida-Shopping statt fand. Da werden Unterschiede gemacht, die nicht gerecht sind. 

Wie können sich Künstler*innen die Zukunft vorstellen? Was ist deine persönliche Perspektive auf die Zukunft? 

Wow, das ist sicherlich schwer zu beantworten. Was ich auf jeden Fall hoffe, ist, dass man Veranstaltungen mit Hygienemaßnahmen im kleinen Rahmen wieder abhalten kann. In kommender Zeit, wenn es wieder möglich ist. Positiv sehe ich es aber momentan leider nicht. Dennoch ist der Film eine Möglichkeit für mich und uns, also alle beteiligten Künstler*innen, dass man wieder gesehen wird. Letztendlich ist es gerade für freie unbekannte Künstler*innen noch viel schwieriger. Die großen Küsntler*innen haben schon einen Namen. Einerseits haben sie vielleicht auch stärkere finanzielle Einbußen, andererseits werden sie auch eher weitermachen können als jetzt unbekannte Künstler*innen, weil sie einfach schon einen Namen haben. Projekte, an denen ich freischaffend als Chorsängerin teilnehme, das ist immer ungewiss, ob die Projekte stattfinden werden. Außerdem werden ja auch im Moment viel weniger Chorsängerinnen benötigt.

Was ist dein Anliegen mit dem Film?

Der Film ist für mich eine Möglichkeit, vielleicht wieder neue Wege aufzumachen. Auch den Tänzern*innen, die mitgewirkt haben, hätte ich gerne noch viel mehr Raum gegeben. Insgesamt waren es so tolle Künstler*innen, die ich alle gerne noch mehr unterstützt hätte. Das ist mir auch ein Anliegen. Dass all die Leute, die mitgemacht haben, gesehen werden und Präsenz bekommen und aktiv sind. Ich hoffe, dass sich dadurch auch etwas für die Künstler*innen aus meinem Film ergibt, dadurch, dass wir präsent sind. Für viele wird es aber weiterhin schlimm bleiben, besonders für Leute in der Veranstaltungsbranche. Am Film haben auch Veranstaltungstechniker mitgewirkt, die sonst in der Life-Branche tätig waren. Nun wollen oder müssen sie sich umorientieren. Einige aus der Filmbranche zum Beispiel können noch so existieren, aber für uns freie Künstler*innen, die auf Konzerte und Kultur angewiesen sind, ist es eine existenzbedrohende Situation.

Wie möchtest du dich weiter mit der Pandemie auseinandersetzen?

Naja, man muss sich ja auseinandersetzen, auch wenn man es vielleicht gar nicht so will. In der Zeit möchte ich jedoch trotzdem aktiv sein und etwas machen. Auch wenn es nicht ganz einfach ist. Freischaffend habe ich das Projekt „OrgaVoce“ gegründet; wir sind in Gottesdiensten aufgetreten als Duett mit einer Organistin und Sopranistin. Das ist zum Beispiel eine Möglichkeit, auch wenn die Kirchen sparen und viele kostenlos singen lassen. Das schafft dann für uns natürlich neue Konkurrenz. Aber solche Projekte selber zu schaffen, die coronakompatibel sind, das ist auf jeden Fall eine Sache. Die Organisation ist jedoch sehr aufwendig und mit Corona wird das natürlich auch nicht leichter. Für Freischaffende ist das schwieriger als für Leute, die in einem staatlichen Kulturhaus sind. 

 Was kannst du dir vorstellen, wie die Kunst weiter funktionieren und aussehen kann? 

Wenn es jetzt coronakompatibel sein muss, heißt es ja, es sollte immer weniger Publikum geben und keine Massenveranstaltungen. Konzerte im Freien sind eine Möglichkeit, doch das ist mit Gesang natürlich schwierig aufgrund der Akustik. Mit Instrumenten ist das eine tolle Möglichkeit. Man müsste kreativ überlegen und neue Ideen finden.

Fallen dir spontan kreative Überlegungen ein?

Es sollte viel mehr kleinere Konzepte geben. Es gibt einige Initiativen von Kulturschaffenden oder Organisationen, die sich Konzepte überlegen.  Der Rundfunk-Chor hatte ein Projekt in Neukölln in einer Fabrikhalle. Dabei handelte es sich um ein Stück einer Komponistin. Man musste durch die Räume laufen, während das Orchester in der Halle saß.  Die Zuschauer[*innen] liefen sozusagen durch das Konzert. Es gab verschiedene Stationen, an denen man Halt machen musste. An einer Stelle war dann ein Männerchor, an der anderen ein Frauenchor, und in einem Raum wurde dann Orgel gespielt. Man war direkt an den Künstler*innen dran. Das war toll. Als Idee war das also sehr spannend, nur war es schade, dass man dann immer weitergescheucht wurde und nicht mal etwas länger die Musik genießen konnte. Trotzdem kann ich mir denken, dass das dann auch Leute interessiert hat, die vielleicht sonst nicht in klassische Konzerte gehen. Diese neue Art von Konzepten müssen wir vielleicht entwickeln, um die Hochkultur an den Normalbürger[/die Normalbürgerin] heranzubringen. Die Klassik ist für viele unerreichbar geworden und ist noch weiter entfernt vom Normalpublikum. Bei wenigen Schulen kommt diese Musikrichtung an. Ich würde mir wünschen, dass Kinder aus benachteiligten Familien viel mehr Chancen hätten, aus unserer Hochkultur etwas abzubekommen. Da muss ein Umdenken in der Klassik stattfinden. Teilweise passiert das auch schon, aber es muss noch viel stärker sein. 

War das Projekt in der Fabrikhalle Neukölln finanziell nicht sehr kostenaufwendig? 

Ja, bestimmt. Als Freischaffende*r hat man nicht einfach mal so die Möglichkeit, so ein Projekt umzusetzen und finanziert zu bekommen. Es ist auch immer schwierig , da man ja erst Anträge stellen muss, die bearbeitet werden müssen. Das dauert alles. Freie Projekte erfordern eine große, organisatorische Vorarbeit. Es sollte mehr Hilfe bei Antragstellung geben und überhaupt mehr Antragsmöglichkeiten für viele kleine Projekte oder auch Recherche-Stipendien für Kuratoren.

Was macht es eigentlich mit Künstlerinnen und Künstlern, wenn sie nicht tätig sein können? Was macht es mit dir?

Das Schlimmste ist, dass man kein Ziel hat. Deshalb war der Film auch so wichtig für mich. Dadurch hatte ich wieder ein Ziel. Man braucht wieder eine Möglichkeit, rauszugehen, und je länger es dauert, desto unkreativer wird man irgendwie. Ich brauche die Zusammenarbeit mit Anderen. Das Ensemble. Das macht mich schon fertig. Wenn man keinen richtigen Alltag hat, fällt es mir schwer, mich zu strukturieren und aktiv und kreativ zu sein. Ohne Struktur von Außen ist das Gestalten auch schwierig. Trotzdem versuche ich dann auch, nicht im Selbstmitleid zu versinken, sondern mir vor Augen zu führen, dass es mir gut geht. Ich habe Menschen, mit denen ich immer telefonieren kann. Doch trotzdem ist es so, dass die Aufgabe des Künstlers[/der Künstlerin] wegfällt. Die Kultur als geistiger Nährboden fehlt. Ich finde Kultur super wichtig und kann mir mein Leben ohne Kultur einfach nicht vorstellen. Kultur kann einen motivieren und inspirieren. Ein tolles Konzert kann einen aus einem tiefen schwarzen Loch wieder rausholen. Das darf man mal nicht vergessen. Die Kultur ist eine Seelennahrung. Wenn wir im Lockdown sind, dann lesen wir und hören Musik. Daran klammern wir uns. Wenn das alles nicht wäre, was würden wir denn dann machen. Auch ein Computerspiel hat sich jemand kreativ ausgedacht. Das sind alles Prozesse, die durch die Kreativität von Menschen hervorgebracht wurden und wiederum diese fördert. Die Kultur ist Teil unserer Identität. 

Wie geht es nun weiter bei dir?

Ich bin weiter dran an dem Projekt „OrgaVoce“. Ich muss auch noch mein Studium abschließen und natürlich hoffe ich, dass man auch irgendwann mal zumindest in kleiner Besetzung im Chor singen kann. Ich bewege mich weiterhin zwischen freien Projekten als Sängerin und dem Unterrichten. Ich fände es aber sehr schön, in den Bereich der Education Arbeit zu gehen und das Professionelle mit dem Unterrichten zu verbinden. Es gibt ganz tolle Projekte mit Schülern und großen Orchestern. In diese Richtung zu arbeiten könnte ich mir sehr gut vorstellen. Im Kreativ-Team mit Schülern und Professionellen zusammen, das würde ich sehr gerne machen. Das würde mich freuen, wenn mir der Film in diese Richtung auch Türen öffnet.