Stell dir vor, du steckst mitten in deinem (Kunst-)Studium. Das Studium gefällt dir, es macht durchaus Spaß. Dann kommt es zu einer globalen Epidemie und – zack! – ist es vorbei. Natürlich nicht komplett, aber irgendwie schon.
Stell dir vor, du studierst also und begibst dich für ein Jahr ins Digitale. Deine Kurse? Digital. Dein Job? Digital. Deine Kontakte? Digital.
Du verbringst plötzlich unfreiwillig und überproportional viel Zeit zuhause, meistens allein. Der alltägliche Spaziergang – 10.000 Schritte! – wird zum Highlight des Tages. Du bist privilegiert, jung und tendenziell ungefährdet. Systemrelevant? Mitnichten. In der Zukunft, vielleicht, irgendwann mal ja. Jetzt jedenfalls nicht.
Stell dir vor, du haderst mit dir und deinen Überforderungsgefühlen. Fragst dich, ob diese Gedanken überhaupt gerechtfertigt sind? Immerhin hast du keine Kinder zuhause, kein Homeschooling. Bist nicht Risikopatient:in, hast nicht soeben deine Existenzgrundlage verloren. Und lebst wahrscheinlich auch nicht mit deiner Familie auf möglicherweise engem Raum. Also eigentlich alles ziemlich stabil für eine Pandemie. Wäre da nicht diese bleierne, einsame Monotonie, die sich löschschaumartig über deine positive Gemütspalette gelegt hat.
Was macht dieses eine Jahr mit dir? Wie wirkt es sich auf deinen Alltag aus? Wie gehst du damit um, es eigentlich gut zu haben, wenn es dir tatsächlich schlecht geht?
GEM/EINSAM, das ist ein filmischer Versuch, sich dieser Thematik zu widmen. Und ein Versuch, den verschobenen Pandemie-Alltag einzufangen.
Das studentisch-kooperative Filmprojekt zeigt eine subjektive Momentaufnahme der vergangenen zwölf Monate. Studentisch-kooperativ, weil es eine Zusammenarbeit zwischen Andrea Künemund (Bühnen- und Kostümbild, HfBK Dresden) und Selma Weber (Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation, UDK Berlin) ist.
Subjektiv, weil der Film aus eben dieser studentischen Perspektive erzählt – und das auf radikale und ehrliche Weise. Aber auch, weil er auf autobiografische Art Alltagsschnipsel – mal mehr, mal weniger verfremdet – zeigt. Warum denn aber ehrlich-radikal? Das, weil der Film fast ausschließlich (und corona-konform) remote produziert wurde. Dateien wurden hin- und hergeschickt, Clouds gefüllt. Die Materialien? Das, was wir zuhause hatten. Die Technikausleihe an der Uni hatte nämlich – klar, coronabedingt – geschlossen.
GEM/EINSAM handelt von der beunruhigenden Stille, die aus den isolierten Wänden kriecht. Von der beklemmenden Monotonie, die uns seit Pandemie-Beginn begleitet.
Der Film thematisiert die Einsamkeit, die sich neben dem häuslich-digitalisierten Alltag in uns ausgebreitet hat. Spricht von der Essenz unserer Wochentage. Der Essenz, die uns geblieben ist, nachdem Veranstaltungen, Kultur und Gastronomie wegkondensiert wurden. Er behandelt die mulmige Melancholie, die sich festsetzt, nachdem feste Wege, Routinen, Kommiliton:innen plötzlich aus dem Alltag gestrichen wurden. Nachdem sich schlagartig und deutlich manifestiert hat, wie wichtig unsere Mitmenschen eigentlich sind. Und wie schlecht sich ihr Wesen im digitalen Raum wiedergeben lässt.
GEM/EINSAM fragt, was bleibt, wenn sich Tage nur noch an Inzidenzwerten messen. Wenn der R-Wert zu einem Richtwert, wenn banale Alltagshandlungen zu gewagten virulenten Abenteuern werden. Wenn das Krisennarrativ sich in den Köpfen festsetzt. Wenn kaum mehr Raum für befreite Sorglosigkeit bleibt.
Und schließlich wirft der Film die Frage auf, wie viel Krise wir überhaupt aufnehmen können. Wie viel Krisennarrativ ein Mensch tagtäglich ertragen kann. Und wie viele Krisenmeldungen sich verarbeiten lassen. Die Antwort der Filmemacherinnen ist dabei sehr klar: Viel Krise führt irgendwann zu viel ermatteter Gleichgültigkeit. Und das führt uns wieder, bei schlechtem Krisenmanagement, in die nächste Krise.