Softe Skills, harter Lockdown.
Die Pandemie hat es geschafft, bestimmten Berufsgruppen durch das Prädikat „systemrelevant“ ihre verdiente Anerkennung zuzusprechen. Endlich wurden notorisch unterbezahlte und überlastete Menschen hinter Supermarktkassen, im Gesundheitswesen oder als Erntehelfer*innen aus der Unsichtbarkeit geholt und ihre unverhältnismäßigen Arbeitsbedingungen und Gehälter zur Sprache gebracht. (Wie viel sich für diese Menschen dadurch faktisch geändert hat, ist eine andere Frage, die wie es scheint inzwischen wieder an Relevanz verloren hat.)
Gleichzeitig wurde durch diese Kategorisierung aber auch sichtbar, welche Bereiche nicht in die Rubrik der Systemrelevanz fallen. Ganz oben auf der Liste steht da jegliche Form von Kunst und Kultur, die eher in die Rubrik Freizeitattraktion eingeordnet wird.
In gewisser Weise möchte sich ein Teil von uns ja auch außerhalb des Systems verortet wissen, sich keinen marktwirtschaftlichen Interessen unterordnen, sich als Reflexion, Kritik, Kommentar zum System verstehen und würde sich dementsprechend wohl auch nicht den Stempel systemrelevant aufdrücken lassen wollen. Wir möchten auch ohne Systemrelevanz relevant sein.
Dennoch oder gerade deshalb hat es uns getroffen, dass sämtliche öffentliche Kultureinrichtungen mit ausgeklügelten Hygienekonzepten bereits zum Teil-Lockdown schließen mussten, während Galerien als Orte der Vermarktung von Kunst noch bis zum harten Lockdown geöffnet blieben – ganz zu schweigen von all den anderen Orten des Konsums.
Ich möchte aber an dieser Stelle nicht über die Sinnhaftigkeit oder die kapitalistischen Hintergründe der Maßnahmen sprechen. Genau genommen möchte ich überhaupt nicht über Corona sprechen. Ich möchte es vielmehr als Anlass nehmen, um die Zukunftsängste zur Sprache zu bringen, die wir als Studierende der Künste alle in unterschiedlich starker Ausprägung kennen und auch vor der Pandemie schon kannten. Sie wurden durch die Covid19-Maßnahmen lediglich verstärkt und lassen sich jetzt einfacher thematisieren. Denn auch das hat die Pandemie mit sich gebracht: Wir können endlich ehrlicher sein und uns verletzlicher zeigen.
„Und was kann man damit dann machen?“
Studierende, die jetzt gerade ihren Abschluss machen, stehen aufgrund der aktuellen Situation vor ganz besonderen Herausforderungen. Es gibt kaum Jobausschreibungen im Kulturbereich, die wenigen Angebote werden aufgrund der enormen Nachfrage mit Bewerbungen überflutet. Zudem ist ungewiss, wie es weitergeht, wenn das Schlimmste überstanden und eine Aufhebung oder zumindest Lockerung der Maßnahmen möglich ist. Wie gut oder schnell werden sich Kunst und Kultur erholen? Vielen von uns ist aufgrund der Maßnahmen nochmal mehr bewusst geworden, dass eine Anstellung im Kulturbereich alles andere als eine sichere Einnahmequelle in Krisenzeiten ist (– auch wenn wir damit natürlich nicht alleine sind und sich diese Unsicherheit nunmehr über ganz viele Bereiche erstreckt).
Vor allem außereuropäische Studierende sehen sich besonderem Druck ausgesetzt, da sie zusätzlich zu diesen ohnehin schon existenziellen Ängsten auch noch mit der Problematik des Visums und Bleiberechts konfrontiert sind. Ihnen muss es gelingen, innerhalb von eineinhalb Jahren nach dem Abschluss eine Arbeit im Bereich ihres Studiums zu finden, um in Deutschland bleiben zu dürfen.
Natürlich lassen sich nicht alle Studienrichtungen innerhalb der Künste über einen Kamm scheren. Leistungsdruck, Konkurrenzdenken und Jobchancen sind in den verschiedenen Bereichen völlig unterschiedlich gewichtet. Ich bin sicher, eine Schauspielerin oder ein Tonmeister hat ganz andere Sorgen als eine Musikerin oder jemand, der GWK studiert. Und das Studium der freien bildenden Kunst birgt nochmal ganz andere Herausforderungen und Überlegungen in sich, indem es auf keine potenziell vakante Stelle hin ausbildet.
Da ich selbst Bildende Kunst studiere und dementsprechend vor allem die Sorgen und Ängste der Studierenden der Bildenden Kunst kenne, werde ich mich auf diesen Studiengang konzentrieren. Selbst innerhalb der Bildenden Kunst kann man natürlich nicht generalisierend über das Thema sprechen, da wir alle sehr unterschiedliche Hintergründe und Herangehensweisen haben. Wichtig ist aber, dass es zur Sprache gebracht wird.
Denn obwohl die Frage nach dem Danach uns alle beschäftigt und zermürbt, scheint das Thema Zukunftsängste nach wie vor ein tabuisiertes zu sein und wird im Studium kaum behandelt. Wenige Ausnahmen bilden vereinzelte Kollisionen-Workshops oder Studium Generale-Seminare, über die man mit etwas Glück gelegentlich stolpert, wenn man die Augen weit offen hält.
Ich erinnere mich, dass ich bei der Aufnahmeprüfung zum Studium der Bildenden Kunst gefragt wurde, wie ich mit dem Wissen umgehe, dass nur etwa 2% der Absolvent*innen von ihrer Kunst leben können.
Davon abgesehen, dass es für viele vermutlich das erste Mal war, dass sie mit dieser Zahl konfrontiert wurden und sie wohl dementsprechend spontan und kreativ darauf reagierten, frage ich mich heute, ob die Intention dieser Frage war, all jene vom Studium abzuhalten, die nicht hart genug sind, mit diesem ernüchternden Prozentsatz alleine klarzukommen. Denn damit war es dann getan, das war das erste und letzte Mal, dass das Prekariat des Künstler*innentums während des Studiums bewusst ins Auge gefasst wurde. Immerhin wusste man ja jetzt, worauf man sich einließ, also konnte man sich später nicht beklagen.
Es ist aber leichter, dieses beunruhigende Wissen nach einer ersehnten Zusage zum Studium und fünf Jahre vor dem Abschluss beiseite zu schieben, auch wenn man es die ganze Zeit über im Hinterkopf behalten wird.
Wer sich schon während des Studiums auf die Suche nach einem Nebenjob im Kulturbereich macht, dem wird schnell bewusst, dass unsere Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt kaum gefragt sind. Es gibt fast immer einen Studiengang, auf den die Jobbeschreibung besser zugeschnitten ist. Je näher der Abschluss rückt, umso dringlicher und quälender wird die Frage nach dem Danach dann. Spätestens zu diesem Zeitpunkt müssen wir nämlich der Tatsache ins Auge blicken, dass wir ein Studienfach belegen, das uns auf keine konkrete Anstellung hin ausbildet. Dass es für Absolvent*innen der Bildenden Kunst keine Stellenausschreibungen gibt, auf die sie sich bewerben könnten. Falls wir es während des Studiums verabsäumt haben, in mindestens einer Fertigkeit annähernde Perfektion zu erlangen, sind wir oftmals auf ein zweites Studium oder eine Ausbildung angewiesen, die uns für den Arbeitsmarkt interessanter machen sollen. Deshalb studieren auch einige Kunst auf Lehramt oder hängen noch den Q-Master dran, um sich abzusichern, ohne wirklich Lehrer*innen werden zu wollen. Plan B wird mangels Alternative zu Plan A.
Kunst abseits des Systems
Während des Studiums sollen wir Kunst abseits des Systems denken, um uns frei und unabhängig vom Markt ausprobieren und entfalten zu können. Uns wird gesagt, dass die Hochschule ein Ort des bedingungslos sicheren Ausprobierens ist, wo wir uns ohne Druck und Vermarktungsanspruch unserer Kreativität widmen können. Ich möchte das infrage stellen.
Natürlich ist das Angebot, das wir an der Uni zur Verfügung gestellt bekommen, großartig. Ich bin unglaublich dankbar für diese Infrastruktur und das Privileg, mich fünf Jahre lang meinen Ideen widmen zu dürfen. Oft genug stelle ich mir die Frage, was ich hier eigentlich mache und wie es dazu gekommen ist. (Oft genug fühle ich mich auch schuldig, weil ich das Gefühl habe, eben keinen Nutzen zu erfüllen, keinen relevanten Beitrag zu leisten – obwohl ich das aufgrund meiner Werte von niemand anders erwarten würde. Einer von vielen Widersprüchen, mit denen man sich im Laufe des Kunststudiums konfrontiert sieht.)
Aber gleichzeitig ist uns von Anfang an bewusst, dass das Studium irgendwann zu Ende geht, wir den Zugang zur Hochschulstruktur der Ateliers und Werkstätten verlieren werden und uns in der „echten“ Welt beweisen müssen. Es ist deshalb zu keinem Zeitpunkt möglich, sich unabhängig vom System zu denken.
In den allerseltensten Fällen verlässt man die Uni und ist bereits erfolgreich mit dem, was man macht. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass man erstmal ziemlich planlos und vermutlich auch etwas pleite ist. Selbst wenn man sich also realistische Chancen ausrechnet, zu den wenigen Auserwählten zu gehören und eine Karriere als freischaffende*r Künstler*in anstrebt, stellt sich die Frage, was man bis dahin macht, um sein Geld zu verdienen. Wie anfangen, wo anfangen?
Reality check mit Beunruhigungsfaktor
Fakt ist, dass die ersten Jahre nach dem Studium besonders schwer sind und auch später weniger als zehn Prozent der Berliner Künstler*innen gerade so von ihrer Kunst leben können – Frauen übrigens weitaus schlechter als Männer. 80% der Künstler*innen können von ihren Einkünften aus der Kunst nicht einmal die Kosten ihrer künstlerischen Arbeit decken.1 (Wobei man dazu sagen muss, dass es sich hier um die Zahlen aus Vorkrisenzeiten handelt.) Sollte man keine weitere Ausbildung haben, auf die man zurückgreifen kann, muss man sich irgendwie durchschlagen und kann nur hoffen, dass nebenbei noch ein wenig Zeit für die künstlerische Praxis bleibt.
Wer sich diese Tatsachen im Laufe seines Studiums vor Augen hält, wird zwangsläufig irgendeine Gefühlsregung dazu empfinden. Mag schon sein, dass das Ausmaß der Irritation sehr stark davon abhängt, wie resilient oder ängstlich man generell durchs Leben geht. Aber ich traue mich zu behaupten, dass man schon ganz doll an sich glauben muss, um sich davon nicht zumindest ein bisschen beunruhigen zu lassen.
Und selbst gesetzt den Fall, dass es Studierende gibt, denen diese Zahlen nichts anhaben können:
Sollten diese dann wirklich der Maßstab sein, den wir anstreben, indem wir uns nichts anmerken lassen und nicht offen über unsere Ängste sprechen?
Sollen wir nicht vielmehr auf die Bedürfnisse der vermeintlich „Schwächeren“ achten, als die Lehre nach den vermeintlich „Stärkeren“ auszurichten? So, wie wir es auch in anderen Bereichen des Lebens ganz selbstverständlich tun wollen, wenn wir versuchen, Barrieren abzubauen.
Denn diese Zukunftsängste sind Barrieren. Sie können eine lähmende Auswirkung auf die Kreativität und die damit verbundene künstlerische Praxis haben. Es ist nun einmal so, dass der Gedanke, später vielleicht keinen Job zu finden, nicht gerade eine beruhigende Wirkung hat. Das ist nichts, wofür man sich zu schämen braucht. Das ist etwas, worüber man miteinander sprechen sollte.
Die tatsächlich geführte Debatte ist dagegen eine verwirrende, etwas realitätsferne und elitär-idealistische contradictio in adiecto: Einerseits sollen wir uns frei entfalten, ohne die Marktinteressen zu bedienen oder an irgendeinen Nutzen in einem System zu denken, und dementsprechend sollte auch nicht zu viel darüber nachgedacht werden, was nach dem Studium kommt. Andererseits macht es uns Angst, nicht zu wissen, was danach kommt, und diese Angst kann sich mitunter sehr lähmend auf die künstlerische Praxis auswirken. Wodurch es wiederum nicht möglich ist, sich völlig frei zu entfalten und auszuprobieren.
Ähnlich verhält es sich mit der Frage nach dem Künstler*innensein: Wir sollen uns als werdende Künstler*innen verstehen, um unsere Fähigkeiten möglichst selbstbewusst und frei entwickeln zu können, uns aber gleichzeitig unabhängig vom Markt sehen. Das würde aber doch auch bedeuten, uns mit dem, was wir tun, keine wirklichen Chancen auf Erfolg einzuräumen und dementsprechend auch eine brotbringendere Alternative in petto haben zu müssen – wodurch wieder weniger Zeit und Zuversicht für die Konzentration auf die künstlerische Praxis bliebe.
Die künstlerische Freiheit leidet also nicht erst nach dem Abschluss unter den Produktionsbedingungen. Wir sind uns auch schon während des Studiums bewusst, dass es nicht einfach wird.
Lasst uns darüber reden
Warum wird im Studium so wenig darüber gesprochen, obwohl diese Ängste einen wesentlichen Teil unserer Auseinandersetzung mit unserem zukünftigen Berufsfeld ausmachen? Kann man überhaupt freie Kunst studieren, ohne Angst vor dem Danach zu haben?
Im Zuge meiner Recherchen zu diesem Artikel habe ich mit einigen Studierenden über das Thema gesprochen, um jedes Mal aufs Neue festzustellen, dass jede*r von ihnen diese Angst vor der Zukunft kennt und findet, dass sie im Laufe des Studiums viel zu wenig zur Sprache kommt.
Ich habe erfahren, dass Studierende, die ich immer für ihr Streben nach Perfektion bewundert habe, aufgrund ihrer Versagensängste unter Panikattacken oder Schlaflosigkeit leiden. Ich habe gelernt, dass ich mit meinen Zweifeln nicht alleine bin und dass sehr viel Gutes entstehen kann, wenn man sich öffnet. Es waren großartige, weil ehrliche Gespräche, sehr bereichernde Diskussionen und auch beruhigende Lösungsansätze und Erkenntnisse darunter.
Auch beim Plenum in meiner Klasse habe ich das Thema zur Sprache gebracht. Anfangs hatte ich den Eindruck, dass sich kaum jemand offen dazu äußern möchte und den Lehrenden aufgrund ihrer gesicherten Position der Bezug dazu fehlt. Dann wurde es jedoch sehr schnell zum Selbstläufer und hat die Planung des restlichen Semesters wesentlich beeinflusst. In den letzten Wochen haben wir mit den Lehrenden offen über Zukunftsperspektiven und -ängste diskutiert und ehemalige Absolvent*innen mit unterschiedlichen Werdegängen zu Vorträgen und Gesprächen über ihre Zeit nach dem Studium eingeladen.
Es war befreiend und beruhigend, sich so offen und realitätsbezogen damit auseinanderzusetzen. Da wir für gewöhnlich so wenig darüber sprechen und somit das Gefühl haben, alleine klarkommen zu müssen, sind unsere Ängste oft unverhältnismäßig und abstrakt. Solange man einen Teil von sich ausklammern muss, ist es auch nicht möglich, einen Umgang damit zu finden. Zu seinen Ängsten zu stehen, bedeutet zugleich, sich selbst anzunehmen und dadurch erst Lösungen finden zu können.
Ich denke, wir sollten uns als Studierende Strukturen schaffen, die es uns ermöglichen, offen über diese schwierigen Aspekte eines Kunststudiums sprechen zu können. Es gehört ohnehin zu unserem künstlerischen Werdegang, diese Phasen zu durchlaufen und zu bewältigen. Es liegt an uns, ein solidarisches Klima zu schaffen, das uns zu unseren Problemen stehen lässt und vor allem jene berücksichtigt, denen diese Ängste ganz besonders zu schaffen machen.
Wir können uns dieses Engagement nicht von den Lehrenden erwarten, weil es in der Natur der Sache liegt, dass diese unsere Situation aufgrund ihrer gesicherten Position nurmehr schwer nachvollziehen können. Zudem sehen wir uns heute mit anderen Herausforderungen konfrontiert als es vielleicht vor 20 oder 30 Jahren der Fall war. Es liegt auch an uns, unser Studium aktiv und zeitgemäß mitzugestalten, indem wir Dinge einfordern und verändern. Wenn sich die Umstände von Kunstschaffenden ändern, sollte es auch der Lehrplan tun.
Es ist in den letzten Jahren bestimmt nicht einfacher geworden, sich mit der Kunst ein Einkommen zu sichern. Dementsprechend kann es nicht schaden, für einander einzustehen, anstatt zu versuchen, uns als konkurrierende Einzelkämpfer*innen durchzuschlagen. Gerade in der Kunst und Kultur brauchen wir einander, wir sind bei der Verwirklichung unserer Projekte oft auf unsere gegenseitige Hilfe und Unterstützung angewiesen. Also lasst uns damit anfangen, zu unseren Ängsten zu stehen, und vor allem: Lasst uns darüber reden.
1 Hergen Wöbke: Studio Berlin III. IFSE-Studie über Künstler*innen in Berlin und Gender Gap, IFSE 2018.