Für meine Thesis habe ich 14 Gestalter*innen das gleiche Thema vorgegeben und sie kleine Artworks gestalten lassen. Entstanden ist ein Buch, welches sowohl einen theoretischen Teil hat (meine Thesis), als auch ein visuelles Experiment darstellt. Es untersucht die Idee einer einheitlichen Wirklichkeit in einer stets subjektiven Wahrnehmung. Ist ein Aufbrechen dieser Wahrnehmung durch die Künste möglich? Die Arbeit setzt sich mit verschiedenen Perspektiven der Wahrnehmung und der Realitätsverdopplung in der Kunst auseinander und fungiert als visuelle Enzyklopädie der Myopie (Kurzsichtigkeit) und Hyperopie (Weitsichtigkeit).
Wenn real bedeutet, zu fühlen, riechen, schmecken und sehen, dann ist »real« nichts anderes als elektrische Signale, die von deinem Gehirn interpretiert werden.
Morpheus, Matrix
Der Ausgangspunkt meiner Arbeit war dieses Zitat von Morpheus aus dem Film »Matrix«. Darin geht es um Neo, der in einer Scheinwelt lebt, sich dessen aber nicht bewusst ist. Der Philosoph Alan Watts ist der Meinung, dass wir den größten Teil unseres Lebens in einer Art Myopie (Kurzsichtigkeit) verbringen. Das heißt, wir nehmen nur einen mikroskopischen Teil der Realität wahr. Und durchaus scheint dies zutreffend, denn der Mensch hat keinen unmittelbaren Zugriff auf die objektive Realität, sondern lebt in seiner subjektiven Wirklichkeit, welche auf den eigenen Erfahrungen beruht.
Die Handlung von „Matrix“ erinnert an Platons Höhlengleichnis, worin es um Menschen geht, die ihr Leben lang in einer Höhle angebunden leben und nur die gegenüberliegende Höhlenwand betrachten können auf der Schattenbilder von Gegenständen projiziert werden. Da für die Menschen in der Höhle diese Gegenstände nur in Form von Schatten wahrnehmbar sind, halten sie diese Schatten für die einzig wahre Wirklichkeit. Dass sie in einer Myopie leben, ist ihnen nicht bewusst, denn sie haben die Außenwelt nie wahrgenommen. Davon ausgehend, dass die Subjektivität und Wahrnehmung uns hemmt, das Gesamtbild einer Welt konstruieren zu können, stellt sich die Frage, ob und wie ein Ausbruch aus dieser Kurzsichtigkeit möglich ist.
Im ersten Kapitel I. “Maßstab einer Wirklichkeit” sollen Rezipient*innen narrativ zu den entferntesten und größten, sowie kleinsten Strukturen geführt werden. Inspiriert ist dieser Teil von dem Kurzfilm “Powers of Ten” von Ray und Charles Eames. Es entsteht eine Reise anhand von Bildern durch den Mikro- und Makrokosmos und dient als ein visueller Essay über die Größenordnung von Wirklichkeiten. Dabei wird dieser visuelle Essay inhaltlich von Platons Höhlengleichnis unterstützt und soll zum Nachdenken anregen, ob auch wir eben, ähnlich wie die Höhlenmenschen in dem Gleichnis, nicht über die Grenzen dieser Welt hinausblicken können. In Kapitel II. “Ästhetik der Wirklichkeit” folgt die theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema und der Inhalt des ersten Teil des Buches wird klarer gedeutet.
Den Abschluss bildet unter III. “Zwischenräume der Wirklichkeit” ein visuelles Experiment. Dieses soll verdeutlichen, dass, obwohl uns dieselbe Welt umgibt, jedes Individuum diese anders wahrnimmt, dadurch die Wahrnehmung stets subjektiv ist und folglich auch das Gestalten auf den eigenen Konstrukten beruht. Um diese Wirklichkeit und Realitätsverdopplungen sichtbar zu machen, sollten sich 14 Gestalter*innen mit dem Thema “Zwischenräume der Wirklichkeit” kreativ auseinandersetzen. Neben dem Thema wurden noch neun Schlagwörter vorgegeben, die Raum für subjektive Assoziationen geben sollten. Entstanden sind komplett unterschiedliche Arbeiten, die auf vollkommen anderen Herleitungen beruhen.
Sara Božić arbeitet in den Bereichen Editorial Design, Websites und Visual Identities. Ihr persönlicher Fokus liegt auf der Wissensvermittlung, da man ihrer Meinung nach mit Grafikdesign Rezipient*innen den Zugang zu Wissen erleichtern kann. Die Gestaltung kann ein Thema beeinflussen und dabei helfen, wie es aufgenommen wird.
Dieser Artikel wurde Juli 2022 in der eigenart Druckausgabe #96: HYBRID REALITIES veröffentlicht.