Sanft/Mutig ist ein Projekt über die Genderdynamiken des Anzugs – ein Kleidungsstück, das mich gleichermaßen fasziniert und frustriert. Er fasziniert mich in seiner handwerklichen und technischen Exzellenz und in seiner unglaublichen transformativen Kraft. Aber gerade diese Kraft steht für das Patriarchat und männliche Selbstbehauptung. Als Frau einen Anzug zu tragen ist ein Statement; ein Mann im Anzug ist lediglich gut angezogen und reiht sich ein in die Generationen von Männern vor ihm. Dies habe ich selbst erlebt, als ich noch vor meinem Studium an der Universität der Künste mit Mitte zwanzig meinen ersten Job in einer Bank hatte. Was ziehe ich an, wenn Kompetenz durch den Anzug markiert wird und der Anzug männlich ist? Ich konnte und wollte nicht einfach „eine von ihnen“ sein. Denn was sagt es aus, wenn ich als junge Frau einen Anzug trage?
Die Entwicklung des Anzugs, wie wir ihn heute kennen, ist stark beeinflusst durch die Werte der Aufklärung und der Französische Revolution und die damit einhergehenden Veränderungen der Gesellschaft. Was ist passiert zwischen Ludwig dem XVI., der sich 1779 noch geschmückt im Krönungsornat abbilden ließ und Maximilien de Robespierre, der 1790 im schlichten schwarzen Jacket und weißen Hemd posierte?
Die Vorherrschaft der Vernunft, die Demokratisierung und der damit einhergehende Systemwechsel von der Monarchie zur Republik haben auch die Kleiderwahl geprägt. Während Ludwig XVI. sich noch durch seine Bekleidung legitimierte und dadurch die gottgegebene Ordnung ausdrückte, stand bei den Revolutionären im Vordergrund, das wahre, innere, rationale Selbst durch die Kleidung auszudrücken. Nora Weinelt (2016: 42ff) schreibt in ihrem Text Minimale Männlichkeit: „Gesucht wird nichts weniger als eine reine Form, die das reine Sein zum Ausdruck bringt […] und sich dadurch von der Schein-Heiligkeit Aristokratischer Kleider abgrenzt.“
Dass der Anzug so aussieht wie er aussieht, hängt jedoch nicht nur mit dem neugefundenen Puritanismus zusammen. Auch der Klassizismus hatte einen Einfluss auf die Form, indem der antike griechische Körper zum idealen männlichen Modekörper gemacht wurde. Die Historikerin Anne Hollander schreibt in ihrem Buch Anzug und Eros (1995), dass der Anzug im Grunde eine perfekte Hülle sein sollte für den nackten Körper, ihn nur bedecken und nachzeichnen, aber niemals verhüllen soll und dadurch optimale Bewegungsfreiheit schenkt.
Durch die Entstehung des Anzugs haben sich Damen- und Herrenbekleidung immer stärker auseinander entwickelt. Denn der Minimalismus des Anzugs hat in der Damenmode keineswegs stattgefunden. Der Verstärkung von Genderunterschieden in der Bekleidung liegen ebenfalls gesellschaftlichen Entwicklungen zu Grunde. Mit einem zunehmend besseren Verständnis der Anatomie des menschlichen Körpers durch die tiefere medizinische Forschung in der Zeit der Aufklärung wurden Mann und Frau vermehrt als zwei verschiedene Prinzipien gedacht und nicht mehr wie davor als unterschiedliche Ausprägungen des gleichen Körpers. Der Historiker Thomas Laqueur nennt diese Sicht auf Geschlecht das Zwei-Geschlechter-Model.
Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert wurden zudem erstmals Zünfte von Damenschneiderinnen und Modistinnen gegründet. Dies hat zu einer Emanzipation und Professionalisierung des Handwerks geführt. Aber es kam erstmals auch zu einer Trennung in der Herstellung von Damen- und Herrenbekleidung, was weiterhin die Trennung der Moden für Männer und Frauen begünstigte (Hollander, 1995).
Während der Herrenanzug noch immer das öffentliche Bild politischer Macht, Geld und wichtiger kultureller Anlässe prägt, nimmt seine Wichtigkeit im Alltag immer mehr ab. Aus unterschiedlichen Gründen tragen viele Leute nicht gerne Anzüge. Er gilt als unbequem und wer will schon mit einem Wall-Street Banker oder einem korrupten Politiker assoziiert werden? Die Frage, ob der Anzug gerade an einem tatsächlichen Wertewandel scheitert oder bloß ein Resultat ist von unserer Vorliebe bequemer Kleidung, ist für mich nach wie vor ungeklärt. Sind sich die Herren des deutschen Innenministeriums bewusst, wie schlecht ihre Anzüge sitzen? Steckt dahinter die Aussage, dass man sich eben nicht mit sowas Oberflächlichem wie Kleidung zu beschäftigen braucht und nur das wahre, innere, vernünftige Selbst zählt um eine Rolle wie diese ausüben zu können? Was sagen die Steve Jobs und Mark Zuckerbergs aus, wenn sie den Anzug ablehnen und in Jeans und Sneakers auftreten? Stecken da wirklich andere Werte dahinter? Oder ist es nur eine andere Verpackung für maskulin, heterosexuell, weiss?
Neben der Entstehungsgeschichte des Anzugs und seiner gesellschaftlichen Relevanz als Marker für maskuline, westliche Identität, interessiert mich daran vorallem die Bedeutung von Sein und Schein. Wird ein Mensch durch Kleidung erst zu einer bestimmten Person (so wie sich Ludwig XVI. durch seinen Schmuck legitimierte)?
Oder soll die Kleidung eine Repräsentation des wahren inneren Selbsts sein und somit als oberflächlich gelten? Hinter dieser semiotischen Sicht auf Bekleidung steckt laut Daniel Miller (2010) die sogenannte Tiefenontologie; die Annahme, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem inneren Selbst und dem Äußeren. Miller kritisiert diese Zeichenhaftigkeit als einzige Funktionsweise von Bekleidung genauso wie viele Modetheoretiker*innen. Gertrud Lehnert (2013: 56) schreibt Bekleidung selbst Handlungsmacht zu, denn „im Sinne eines performativen Verständnisses [von Mode], ist modisches Handeln ein Vollzug, in dem sich das Subjekt überhaupt erst konstituiert.“ Aus sozialkonstruktivistischer Sicht form sich Identität und das Selbst du das Ständige Spiegeln mit der Umwelt und sowohl antizipierter wie auch tatsächlicher Reaktionen anderer auf das eigene Verhalten.
Während diesem Projekt habe ich mich immer wieder gefragt, ob der Anzug als Symbol des Patriarchats verschwinden wird, oder ob er für einen liberaleren Ausdruck von Gender angeeignet und seine Zeichensprache umgedeutet werden wird.
Ich wollte einen Schrank voller Kleidungsstücke entwerfen, die die Stärke des Anzugs betonen, sich aber von seiner patriarchischen Dynamik distanzieren. Kleider sind politisch; wenn nicht gezielt, dann zumindest durch Assoziation. Die Kleider, die wir tagtäglich tragen haben Macht. Deshalb habe ich dieses Statement subtil und tragbar in der Kollektion umgesetzt.
Die Silhouette ist inspiriert von der Zoot Suit Bewegung, die in den 1940er Jahre der USA den Anzug für sich appropriiert haben um Widerstand gegen den Krieg und Rassismus zu zeigen. Der Zoot Suit zeichnet sich durch breite Schultern, eine schmale Taille und ein weites, ballonartiges Bein aus.
Die Kollektion ist genderübergreifend entworfen. Mein Ziel war es traditionell männlich und weiblich konnotierte Attribute und Bekleidungsprinzipien zusammen zu bringen und soweit möglich ihren Genderbezug aufzulösen.
Unterwäsche Referenzen spielen dabei genauso eine Rolle wie der Kontrast zwischen Drapage und konstruierten Elementen und das Aufbrechen klassischer Verarbeitungstechniken. Viele Teile können durch versteckte Bündchen, Hakenbänder, integrierte Schals und alternative Verschlüsse auf unterschiedliche Arten getragen werden.
Quellen
Hollander, Anne (1995) Anzug und Eros – Eine Geschichte der modernen Kleidung, übersetzt von Nele Löw-Beer, Berlin Verlag
Laqueur, Thomas (Juli 2000) Aus eins mach zwei, NZZ Folio (zuletzt besucht: 26.12.2019)
Lehnert, Gertrud (2013) Mode: Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis, Transcript
Miller, Daniel (2010) Stuff, Polity Press
Weinelt, Nora (2016) Minimale Männlichkeit – Figurationen und Refigurationen des Anzugs, Band 5 von Relationen – Essays zur Gegenwart, David Jünger / Jessica Nitsche / Sebastian Voigt (Hrsg.), Neofelis Verlag Berlin
Bilder
Credits
Konzept und Design von Nina Birri @ninushko
Fotografie von Killa Schütze @killaschuetze
H&M: Nghiem Thuong Vi @lilspringrolll
Models: Mini @jsmnhlm & Marek @asamoahoriginal