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Von der Muse zur Meisterin: Feminismus in der Kunst

Wie wir uns mithilfe der künstlerischen Praxis Räume der Gleichberechtigung schaffen

Julia Vu: Endometriose

Die Rolle der Frau in der Kunst hat, wie in zahlreichen anderen Bereichen auch, keinen leichten Werdegang hinter sich. Erst seit 1919 ist es Frauen in Deutschland überhaupt erlaubt, an Kunsthochschulen zu studieren, und die Spuren derer, die es zuvor zu einer eigenen künstlerischen Praxis geschafft hatten, sind nur noch schwer aufzuspüren. Noch weit bis in die 70er-Jahre hinein nahm die Frau in der Kunst primär die Rolle der Muse ein. Ein Wandel begann erst mit dem Wachsen der zweiten Frauenbewegung in den 60er-Jahren einzusetzen, als sich der Feminismus bewusst der Kunstwelt annahm.
 
 Die feministische Kunst bezeichnet heute eine eigene zeitgenössische Kunstrichtung, die sich mit weiblicher und queerer Identität auseinandersetzt und mit konventionellen Geschlechterkonstruktionen bricht. Sie gliederte sich ein in eine Zeit des künstlerischen Aufbruchs und war damit stets auch treibende Kraft, wenn es darum ging, die Definition von Kunst um neue Perspektiven und neue Medien zu erweitern. Mit seinen innovativen Methoden wie der Performance- und Body-Art, Crafitivsm oder Videokunst trieb der Feminismus die künstlerische Praxis aktiv voran und machte Platz für zunehmend handlungsbetonte Kunstformen. Cindy Sherman, Judy Chicago, Barbara Kruger und viele weitere Namen prägten mit ihren Werken den Zeitgeist.

Doch auch wenn die feministische Kunst heute als „eine der einflussreichsten Kunstbewegungen der Nachkriegszeit“ (Jeremy Strick, Direktor MOCA) bezeichnet wird, fand sie zur damaligen Zeit selten Einzug in etablierte Kulturinstitutionen. Fundamentaler Bestandteil der Bewegung war daher stets auch der Kampf für mehr Repräsentanz von Frauen in der Branche. Weibliche Künstler*innen schlossen sich zusammen, um gegen die patriarchale Kunstwelt vorzugehen. Man inszenierte große Protestaktionen, wie das Plakat der Guerilla Girls „Do women have to be naked to get into the Met. Museum?“ vor dem MoMA, Frauen begannen ihre eigenen Ausstellungen zu kuratieren und eigene Magazine zu gründen und man demonstrierte gemeinsam vor Museen – stets mit dem Ziel, die Vormachtstellung des Mannes in der Kunstwelt zu Fall zu bringen.

Im Studiengang der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation beschäftigte sich die Künstlerin und Dozentin Işıl Eğrikavuk gemeinsam mit ihren Studierenden mit eben jener Kunstform. In acht Sitzungen wurden verschiedene Teilbereiche sexistisch geprägter Erfahrungen diskutiert und nach eigenen künstlerischen Umgangsformen gesucht. Zum Abschluss des Seminars entwickelten die Studierenden eigene Projekte, von denen wir hier eine Auswahl vorstellen möchten. 

Lena Marie Petter: My own baby shower

Lena Marie Petter: My own baby shower

Für ihr Projekt feierte Lena ihre eigene erneute baby shower. Inspiriert von Judy Chicago und ihrem “birth project” suchte Lena nach einem Weg, ihren persönlichen Wandel der letzten Jahre künstlerisch darzustellen. Sie begann, ihre alten Tagebücher, die sie bereits seit ihrem 14. Lebensjahr führt, erneut zu lesen. Die erschreckende Redundanz mancher Gedanken und die gleichzeitige Abwegigkeit anderer faszinierte sie und sie begann, die einzelnen Seiten nebeneinander anzuordnen. “Als alles an der Wand war, ich all das vor mir gesehen habe, fühlte es sich an wie eine Art Neugeburt.” erzählt sie. “Hier bin ich, Lena, immer noch geleitet von bestimmten Vorstellungen, die ich von mir und der Gesellschaft habe – aber schon ein ganzes Stück weitergekommen.”

Lena Marie Petter: My own baby shower

Sheena Stolz: Die feministische Antwort auf die BRAVO

In ihrem Projekt trat Sheena in einen kritischen Dialog mit den Inhalten jener Magazine, die sie in ihrer Jugend stark beeinflusst haben. Bravo und Co haben ihr damals vorschreiben wollen, wie sie zu sein und auszusehen habe, wie sie ihre Sexualität zu leben habe, auf welche Weise sie Jungs gefalle. “Die vielen manipulativen Bilder und Wörter haben einen realen Schaden in der Beziehung zu meinem Körper angerichtet.” erzählt sie. “Es war mir wichtig, meine persönliche Entwicklung zu reflektieren und aus heutiger Sicht auf die Inhalte zu antworten.” Die Bravo steht für sie dabei stellvertretend für all die Medien, die sie und zahlreiche weitere junge Menschen beeinflusst haben. 

In ihrem Projekt gestaltete sie die Inhalte der Zeitschriften so, wie sie sie selbst gern als 14-jähriges Mädchen konsumiert hätte. Sheena kreierte eine eigene feministische Antwort auf die Bravo: Problematische Stellen wurden kommentiert oder ausradiert, eigene Illustrationen und QR-Codes zu alternativen Websites, Artikeln oder sozialen Kanälen eingefügt. Die Lovestory ersetzte sie durch einen eigenen Comic: „Ich wollte eine andere Geschichte erzählt bekommen und habe mit meinem eigenen Comic geantwortet.”

Sheenas Manifest:
 

Abschiedsbrief an die Bravo und alle Medien, die mir etwas anderes erzählen wollten.

Was ich damals gerne alles von dir gelernt hätte:

  • Ich muss nicht nur gut aussehen 
  • Vielleicht gibt es die Möglichkeit, nicht heterosexuell zu sein 
  • Mit Kondom ist die Welt auch nicht gerettet 
  • Es gibt nicht nur weiße Menschen
  • Es gibt nicht nur able-bodied Menschen
  • dass auch ich um ein Date fragen kann 
  • …dass es eben nicht reicht, einfach verspielt zu gucken 
  • Ich brauche keine aalglatte Haut
  • Manchmal blutet es durch die Hose, das passiert nicht nur dir!
  • Ich muss schon mal GAR NICHTS!
  • Fast-Fashion ist furchtbar 
  • Masturbieren ist super! 
  • Ich muss nicht in einer Beziehung sein, um glücklich zu sein
  • Nichts ist für immer 
  • Neid ist unglaublich toxisch 
  • Das Leben ist kein Wettkampf
  • Man sagt nicht „Ich liebe dich“ während des ersten Kusses
  • Ich muss mich nicht ständig für alles entschuldigen 
  • Es gibt verschiedene Bedürfnisse und Vorlieben
  • Sex ist kein Ratespiel, mit Jungs kann man auch reden
  • Es gibt nicht nur cisgender 
  • Abtreibung ist eine Option 
  • Sei nett zu deinen Brüsten 
  • Menschen haben Schamhaare 
  • Guck mal, wie verschieden Nippel aussehen können!
  • Es gibt nicht nur monogame Beziehungen 
  • Sexy, hübsch und natürlich ist keine Kategorie, die ich erfüllen muss
  • Ich muss mir nicht alles gefallen lassen 
  • Meine Priorität sollte nicht sein, möglichst beliebt zu sein 
  • Ich bin nicht geboren, um ein höfliches Mädchen zu sein 
  • Belästigung ist kein Kompliment
  • Was bedeutet sexuelle Belästigung? 
  • Wie lebe ich frei und selbstbestimmt?
  • Was ist das Patriarchat?
  • Wichtige Websites und Anlaufstellen, an die ich mich wenden kann
  • Nicht auf all diese Orgasmus-Mythen reinzufallen 
  • Warum zur Hölle habe ich Weißfluss?
  • Was ist Endometriose und wie können Betroffene damit leben?
  • Für manche Menschen ist Penetration keine Option, z.B bei Vaginismus
  • Du bist mit vielen Problemen nicht allein
  • …dass es keine Regel gibt, die besagt, dass du einen BH zu tragen hast
  • dass es unendliche viele verschiedene Vulven gibt
  • Ich wäre gerne über all die Pornolügen aufgeklärt worden
  • Texte und Bilder gesehen, die nicht von weißen Cis-Menschen geschrieben wurden 
  • Es gibt Stereotypen 
  • Was ist Feminismus?
  • Dein Leben, dein Körper, dein Uterus, deine Entscheidungen!

Linh: Sticker

Linh ließ sich für ihr Projekt von den “I voted”-Stickern aus den USA inspirieren. “Ich fand es interessant, dass diese Sticker, die ja lediglich Schrift sind, tatsächlich Menschen dazu bewegen können, wählen zu gehen und somit einen realen Einfluss auf die Zukunft eines Landes haben können.” erzählt sie und begann, eigene Sticker zu entwerfen. Mit diesen wolle sie Menschen dazu bewegen, sich näher mit ihrem Körper und ihrer Sexualität zu befassen. „Sexualität und Sex sind Themen, mit denen ich mich bisher eher unwohl gefühlt habe.“ erklärt  sie und erzählt, dass sie sich bisher kaum mit der Thematik beschäftigt habe. Gerade deshalb war es ihr ein Anliegen, sich dem Bereich anzunehmen. “Durch die Sticker konnte ich Vieles ausdrücken, für das ich vorher nicht die richtigen Worte hatte.” 

Mara Niesen: Mutterschaft

Mara Niesen: Mutterschaft

Mara beschäftigte sich in ihrem Projekt mit dem Thema Mutterschaft. Auslöser war eine Bekannte, die sich vor Kurzem unter großer Aufmerksamkeit dagegen entschied, ein Kind zu bekommen. “Es ist verrückt, dass diese Entscheidung eine wichtigere Rolle spielt, als die Entscheidung, Mutter zu werden.” befindet Mara und beschäftigte sich folglich mit der Rolle und Bedeutung von Mutterschaft. Das Thema verarbeitete sie unter anderem im Sticken.


 “In dem Moment, in dem man Mutter wird, wird das eigene Frausein ein Stück weit aufgegeben und mit einem Mal muss man konstant funktionieren.” Gleichzeitig störe sie sich daran, wie konsequent die Schattenseiten der Mutterschaft gesellschaftlich und medial zensiert werden. “Niemand spricht über eigene Zweifel oder die Anstrengungen, die das Muttersein mit sich bringt. Auch Bilder von Geburten werden nie echt dargestellt. Ein Foto, das eine glückliche Familie im Wald abbildet, ist hingegen akzeptiert.” Entstanden ist ein Buch, mit eigens bestickten Seiten, Fotos und eigenen Zeichnungen.

Julia Vu: Endometriose

Julia beschäftige sich in ihrem Projekt mit der Krankheit “Endometriose.”
Bei einer solchen Erkrankung siedeln sich Zysten und Entzündungen an Eierstöcken, Darm oder Bauchfell an. Es handelt sich um eine unter Menschen mit Uterus sehr weit verbreitete Krankheit, die mit starken Menstruations- und zyklusunabhängigen Schmerzen einhergeht und häufig auch Unfruchtbarkeit verursachen kann. In einem Linocut versuchte Julia, die Schönheit der weiblichen Fruchtbarkeit festzuhalten. So will sie Aufmerksamkeit auf die Erkrankung lenken, die häufig erst sehr spät festgestellt wird.