Im Wintersemester 20/21 hielt der Gastprofessor Philipp Hübl eine studienübergreifende Vorlesung mit dem Titel „Freiheit und Selbstbestimmung“. Immer wieder kam es zu unangenehmen Situationen in den Veranstaltungen. Unser Eindruck und unsere Kritik ließen sich nach Ende der Vorlesungsreihe durch einen offenen Brief der I.D.A.1 (Intersectionality.Diversity.Antidiscrimination) bestätigen. Die I.D.A. wandte sich in einem kritischen Brief an Professor Hübl, nachdem er bei Deutschlandfunk einen Radiobeitrag2 mit dem Titel „Struktureller Rassismus –Ein irreführender Begriff“ formulierte.
Einer der ausschlaggebenden Momente für ein paar Studierende, hellhöriger zu werden, war eine Diskussion, die sich entfachte, nachdem Professor Hübl einen Fall vorstellte, den wir im Plenum diskutieren sollten.
Der Fall3:
Im Juli 2020 wurde die Personalchefin Karen Parkin von Adidas gekündigt, nachdem sie äußerte, Adidas hätte kein Rassismus-Problem.
Die Studierenden, die sich zu Wort meldeten, waren sich einig, dass die Gesellschaft grundlegend ein Rassismus-Problem habe. Ein Problem mit strukturellem Rassismus. Begründet wurde das in der Diskussion mit der Historie (z.B. Kolonialgeschichte) Deutschlands und der Welt. Die Privilegien als weißer Mensch seien zu hinterfragen, um folglich zu verhindern, dass sich in der Zukunft Rassismus weiter reproduziert. Denn das stelle die aktuelle Realität unserer Gesellschaft dar. Karen Parkin, als weiße Person, aber auch und vor allem in ihrer Position als Personalchefin eines globalen Unternehmens, hätte laut Studierenden die Sensibilität und Aktualität von strukturellem Rassismus besser einschätzen können müssen. Diversität steht bei Adidas fest beschrieben in der Leitlinie des Unternehmens (vgl. Geschäftsbericht 20194). Die schnelle Annahme, Adidas hätte kein Rassismus-Problem, hätte Parkin laut den Studierenden nicht formulieren dürfen und damit sei die Entscheidung von Adidas, Parkin zu entlassen, komplett gerechtfertigt.
Einblick in Anmerkung von Professor Hübl:
„Also müsste jeder sagen, jedes Unternehmen hätte ein Rassismus-Problem? Selbst wenn die empirischen Daten dagegensprechen.“
Unsere Gegenfrage:
Solange diese Vielzahl an Diskriminierungen statistisch schwer aufzuzeigen ist, sind diese alltäglichen, manchmal schwer greifbaren und subtilen Rassismus-Erfahrungen also nicht die Realität vieler Betroffener?
Ist der Diskurs also hinfällig?
Struktureller Rassismus ist zum momentanen Stand der Dinge statistisch nicht in vollem Umfang untersucht und belegt. Diese empirische Grundlage, die Professor Hübl sich wünscht, gibt es (noch) nicht. Die Daten sind deswegen schwer zu ermitteln, weil Rassismus-Erfahrungen oft subtil und nicht greifbar bleiben. Trotzdem bleibt die Diskriminierung schlichtweg die Lebensrealität vieler Betroffener.
Professor Hübl braucht empirische Daten, um all das glauben zu können. Das können wir, Studierende der Universität der Künste, nicht verstehen!
Also nochmal, der Begriff fragt und bohrt nach Ungerechtigkeiten. Auch und gerade nach den Ungerechtigkeiten, die bis jetzt nicht repräsentativ empirisch erfasst wurden. Unter dem Begriff steht die Forderung an jeden Menschen, das eigene Privileg zu hinterfragen und das Umfeld zu beobachten. Der ganze Umfang dieser Strukturen kann nur dadurch sichtbar werden, wenn wir einen öffentlichen Diskurs darüber führen! Um dann letztlich auf ein grundgemeinsames Bewusstsein in der Gesellschaft zu kommen und im Konsens verstehen zu können, welche „Normalität“ wir grundsätzlich teilen sollten und wollen.
Nochmal: Professor Hübl scheint diese Erfahrungen der Betroffenen bzw. all die nicht erfassten Realitäten nicht sehen zu wollen, weil man ihm keine empirische Datengrundlage bieten kann.
Nicht vorhandene empirische Daten weisen auch auf den fehlenden Fokus auf dieses Problem hin. Empirie an sich ist nie etwas Gottgegebenes, sondern Menschengemachtes! Wir gestalten den Rahmen! Den Rahmen für Hypothesen, Theorien und schließlich den Rahmen für Studien. Und legen damit fest, welche Themen und Fragestellungen im Fokus stehen und untersucht werden.
Wir, die Studierenden sind ähnlich wie im Fall von Karen Parkin der Meinung, dass Professor Hübl die Sensibilität und Aktualität von strukturellem Rassismus gerade in solch einer Veranstaltung besser einschätzen können muss. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Universität der Künste statt, die sich Diversität und Antirassismus zur Aufgabe macht. Die Verantwortung als Lehrender an der UdK und der Universität der Künste selbst besteht darin, einen Rahmen und offenen Raum zu gestalten, in dem konstruktiv, umsichtig und reflektiert diskutiert werden kann. Dieser Rahmen wurde in dieser Vorlesung kaum gegeben! Wir finden es schade, teilweise schon im ersten Semester an der UdK strukturellen Rassismus mitbekommen zu müssen. Denn wenn eins auch dazu zählt, ist es die Ignoranz, diesem Diskurs nur so weit zu glauben, wie die aktuelle empirische Datengrundlage Beweise liefert.
Denn nochmal:
Empirie an sich ist nie etwas Gottgegebenes, sondern Menschengemachtes. Menschen gestalten den Rahmen!
Wir, Studierende der Universität der Künste, die die Vorlesung „Freiheit und Selbstbestimmung“ von Professor Philipp Hübl besucht haben, wünschen uns vor allem das: Wir wünschen uns einen Dialograum, in dem wir konstruktiv, abwägend, mit angemessenem Ton und Sensibilität für bestimmte Themen an einen Diskurs herantreten und daran teilhaben können. Wir wollen kritische Fragen und Perspektiven abwägen. Das hat uns in dieser Vorlesung definitiv gefehlt!
Professor Hübl hat immer wieder die gleichen, drängelnden Fragen gestellt. Das führte dazu, dass sich Studierende eingeengt und überrannt fühlten. Die Grundlage für diesen Dialograum, den wir uns wünschen, war nicht gegeben.
Folglich fragen wir uns, ob Vorlesungen wie das „kritische Denken“, wie Professor Hübl sie im SoSe21 hält, so kritisch gedacht und gehalten werden können, wie der Titel es voraussetzt.
1 autonome studentische Initiative, die sich mit Fragen rund um Intersektionalität, Diversität, Antidiskriminierung an der UdK beschäftigt
2 https://www.deutschlandfunkkultur.de/struktureller-rassismus-ein-irrefuehrender-begriff.2162.de.html?dram:article_id=494392
3 https://www.welt.de/wirtschaft/article210746313/Karen-Parkin-Adidas-Personalchefin-muss-nach-Rassismus-Debatte-gehen.html
4 https://report.adidas-group.com/2019/de/konzernlagebericht-unser-unternehmen/mitarbeiter-und-unternehmenskultur/vielfalt-und-inklusion.html
Unterschriften der Studierenden:
Gesellschafts- & Wirtschaftskommunikation:
1 Mathilde Stübner
2 Pia Scheffler
3 Mareile Klose
4 Eva Neumann
5 Tara Thielitz
6 Kimiya Lareibi
7 Elisabeth Steilen
8 Hanna Hoch
9 Elias Langenberg
10 Amina Abdou
11 Lilly Bantelmann
12 Laura Lutz
13 Caroline Knihar
14 Samuel Rasched
15 Rebekka Wolfgruber
16 Amelie Majewski
17 Zora Brunath
18 Lena Pflaum
19 Than Bui
20 Louis Frank
21 Elena Jia Lan Saerberg
22 Martin Reckers
23 Nora Rennert
24 Greta Verlage
25 Selina Flechsig
26 Debora Meyer
27 Lina Guthmann
28 Antonia Racky
29 Jacob Woyton
30 Lino Chlistalla
31 Alexander Stoljarow
32 Charlotte Reinhardt
33 Louis Peter Meier
34 Lilith Kafka