Warum mehr Frauen Schönheitsoperationen durchführen lassen als Männer

Die Schönheitschirurgie ist nicht nur eine Technologie zur Selbstbestimmung, sondern eine Maschinerie der sozialen Unterwerfung. Besonders für Frauen herrscht ein unhintergehbar ambivalenter Druck zur ästhetischen Selbstinszenierung.

Illustrationen: Luca Helena Wielage

Mit fünfzehn oder sechzehn stand ich oft vor dem Spiegel, fand mich zu dick oder meine Brüste zu klein und habe mich gefragt, was ich an mir ändern kann. Ich habe mir dann YouTube-Videos angesehen, bei denen andere Mädchen über ihre Brust-OP gesprochen haben – „Wenn man sich wirklich unwohl fühlt, dann sollte man es machen.“ Sogar eine meiner Freundinnen meinte damals zu mir, dass ich ja einfach sparen und meine Eltern fragen könne. Ich weiß noch genau, welche Preisspanne ich mir notiert hatte: 5.000 bis 7.000 Euro. Unter dem Muskel war es leider etwas teurer, sah dann aber auch natürlicher aus. Auf YouTube finden sich viele Videos von jungen Frauen, die über ihre Erfahrungen erzählen, Ärzt:innen empfehlen und Tipps geben. Häufig wollen sie einen nicht dazu ermutigen und betonen, dass sie die Operation aus privaten Gründen gemacht haben. Schönheitsoperationen ermöglichen einen exakten Nachbau des erwünschten Körpers und eine Veränderung ohne großen Aufwand. Die Schönheitschirurgie macht in kürzester Zeit das möglich, was weder die Diät, noch das Fitness-Training oder andere Methoden der Verschönerung erreichen könnten. Sie ermöglicht eine beinahe unbeschränkte, totale Neuerstellung des menschlichen Körpers. Durch die stetige Zunahme von Schönheitsoperationen in unserer Gesellschaft wird jedoch das falsche Gefühl vermittelt, dass Frauen nur etwas erreichen können, wenn sie schön sind. Sei es im Beruf oder in der Liebe. Zudem entsteht ein sozialer Druck, bestimmten Idealen zu entsprechen. Stars wie die Kardashians und Models wie Bella Hadid reproduzieren dieses Bild. Auf den ersten Blick erscheint die Schönheitschirurgie als das, was Foucault Selbsttechnologie genannt hat. Sie ermöglicht Selbstbestimmung und Selbsterschaffung, da Patient:innen die Schönheitsoperationen als Selbsttechnologien zur Körpermodifikation einsetzen. Doch erschaffen wir uns wirklich selbst oder wird nur das weibliche Ideal verfolgt?

Eine Statistik der deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie zeigt, dass rund 87,8 Prozent der Personen, die einen chirurgischen Eingriff vornehmen lassen, Frauen sind, während nur 11,8 Prozent der Patient:innen männlich sind.1

Warum ist die Zahl der Frauen so viel höher als die der Männer? Der Wunsch der Frauen, sich für die Männer schön zu machen, zeigt uns die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern. 

Frauen müssen sich verändern, um zu gefallen

In unserer heutigen Gesellschaft stehen die Schönheit und das Aussehen von Frauen stark im Fokus. Frauen müssen sich verändern, um zu gefallen. Sie schminken sich, und lassen sich sogar operieren, um zu gefallen. Frauen müssen sich für die Männer schön machen. Durch chirurgische Eingriffe unterwerfen sich Frauen dem Male Gaze. Der männliche Blick maßregelt unser Aussehen und Verhalten so enorm, dass wir es häufig gar nicht bemerken. Sei es das Betonen des Dekolletés oder das gegenteilige Verdecken der als feminin zugeschriebenen Körperteile, wenn wir nachts alleine nach Hause laufen – beide Verhaltensweisen werden durch Male Fantasies bestimmt. Die täglichen Blicke, die wir als Frau zu spüren bekommen, weisen uns zurecht. Auf den weiblichen Körper wird eine Macht ausgeübt, die von außen kommt. Aus der Rolle der Machtlosen heraus wird sich Stärke und Wertschätzung vermeintlich wiedergeholt, indem zum Beispiel ein chirurgischer Eingriff vorgenommen wird. So wird sich angepasst. Es existiert das Gefühl, dass Frauen keine Anerkennung verdienen, wenn sie nicht schön – also zurechtgemacht und geschminkt – aussehen. Schminke und Make-up sind neben chirurgischen Eingriffen auch Möglichkeiten, um den Körper zu modifizieren. Schminken sich Männer etwa? Not the way women do.

Wir sind einer ständigen Selbstbetrachtung ausgesetzt

Durch die Medien sehen wir uns täglich in Kameras, Videos und Bildschirmspiegeln und sind so einer stetigen Selbstbetrachtung ausgesetzt. Die ständige Konfrontation mit dem eigenen Aussehen verstärkt den Drang nach Optimierung und Perfektion. Aufgrund von Social Media werden wir nicht nur immer häufiger von Freund:innen gefilmt oder fotografiert, sondern es entstehen auch ungewollte Postings, die andere Freunde und Follower:innen sehen. Das Gefühl, nicht schön – und damit nicht genug – zu sein, führt zu Unsicherheit in der eigenen Identität. Denn sich schön zu machen, bedeutet, sich sozial zu positionieren und dient dem Erlangen von Aufmerksamkeit. Misslingt dies, kann das vielleicht mangelndes Selbstbewusstsein zum Vorschein bringen. Dieser soziale Prozess des Herausputzens ist deswegen für die meisten sehr wichtig, denn er steigert das Wohlbefinden und Selbstvertrauen.

Ich kenne das Gefühl, wenn ich in einer Jogginghose und einem Pullover eine Freundin treffe, die ein Kleid trägt und geschminkt ist. Ich fühle mich dann häufig automatisch unwohl und hässlicher. Auch wenn wir nur zu zweit sind. In dem Moment fällt es mir extrem schwer, mich davon zu lösen und mich nicht zu vergleichen, denn das tut jede:r immer irgendwie. Das Vergleichen meines Äußerlichen mit dem meiner Freundinnen geschieht instinktiv, ohne dass ich es will. Es klingt absurd – aber je schöner ich mich fühle, desto selbstbewusster kann ich auftreten. Ich glaube, so ähnlich kann es sich mit Schönheitsoperationen anfühlen. Nicht nur Kleidung, sondern auch chirurgische Eingriffe steigern das Wohlbefinden und Selbstvertrauen. Das Problem ist, dass wir uns dabei ja irgendwie doch nur für die anderen verändern, und zwar weil Schönheit einen so hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft hat. Wäre dies nicht der Fall, würden sicher keine Operationen vollzogen werden, die den Körper ästhetisierend verändern. Es ist wichtig anzumerken, dass die Schönheitschirurgie auch positive Seiten hat. Neben ästhetischen Behandlungen gibt es auch geschlechtsangleichende Schönheitsoperationen, die ein sehr wichtiger Prozess für Trans* Frauen sind. Für viele transidente Menschen ist die Geschlechtsangleichung ein Schritt in Richtung Normalität.

Grooming Gap

Der Grooming Gap zeigt, dass sich Frauen auch für ihren Beruf mehr pflegen müssen als Männer, um mehr zu verdienen. Beim Lohn ist nicht nur das Geschlecht entscheidend (Gender Pay Gap), sondern auch, wie gut und gepflegt wir aussehen. Jeden Morgen stehen wir auf und machen uns fertig für die Arbeit – nur dass bei Frauen die Morgenroutine häufig länger dauert als bei Männern. Für Mädchen und Frauen gibt es für die morgendliche Routine auch tausende Videos auf YouTube, in denen Youtuberinnen ihre „daily morning routine“ filmen und sämtliche Produkte zeigen, die sie benutzen. Für Jungs oder Männer gibt es so etwas nicht. Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem, was Frauen und Männer für die Pflege aufwenden müssen, oft für das gleiche Berufsprofil. Pflege für Frauen erstreckt sich über Maniküren, Wachsen, Körperpflege, Gesichtsbehandlungen und Schminken. Für Männer geht es vielleicht nur um einen schnellen (und günstigeren) Haarschnitt, eine Rasur und eine Dusche.

Das Pretty Privilege: Schönheit als eine Form von Macht

Schönheit gilt in unserer Gesellschaft als eine Form von Macht. Das “Pretty Privilege” beschreibt das Erleben sozialer Vorteile durch diejenigen, die eine Person als attraktiv empfinden. Wenn ich auf meine Schulzeit zurückblicke, bestätigt sich: die schönen Kinder waren immer beliebt. Auch in heteronormativen Filmen und Serien wird häufig das Bild gezeichnet, dass Schönheit Anerkennung und Privileg mit sich bringt. “Clueless”, “Pretty Woman” “She’s all that”, “Mean girls”. Die schönen Schüler:innen sind beliebt und die anderen werden als Außenseiter:innen gezeichnet. Wenn es mal um eine Außenseiterin geht, dann macht sie meistens eine Verwandlung durch, bei der sie zunächst unscheinbar auftritt, doch durch schöne Kleidung und Schminke auf einmal wunderschön wird. So beispielsweise in dem Film “She’s all that”. Erst nach dem Makeover verliebt sich die männliche Hauptfigur.

Schön zu sein, kann das Kapital steigern – und das in jeglicher Hinsicht. Durch das “Pretty Privilege” gewinnt man mehr Freund:innen, wird gemocht und vielleicht auch bewundert. Schönheitsoperationen ermöglichen somit kulturelles und soziales Kapital. Schönheit ist wie eine Ressource, die genutzt werden kann. Influencer:innen verdienen mit Schönheit sogar ihr Geld, indem sie sich auf Social Media präsentieren. Unsere Gesellschaft ist stark auf Schönheit fixiert. Alles dient dazu, sie aufrecht zu erhalten. Frauen müssen dabei jedoch schöner sein als Männer. Und schön zu sein bedeutet, Gesichtscremes und Bodylotion zu verwenden, Beauty-Produkte zu nutzen, sich zu schminken; Wimperntusche, Rouge, Eyeliner, Foundation, Concealer, Conturing, Bronzer, Lippenstift, Lipliner, Lidschatten, Highlighter, Augenbrauen. Darüber hinaus Rasieren, Waxing, Friseur und Nagelstudio und schließlich auch Schönheitsoperationen. Dass Frauen nicht auch ungeschminkt, groß und stark sein können, ist noch nicht so richtig angekommen. Frauen müssen mehr Geld ausgeben, um überhaupt als weiblich angesehen zu werden. Die Tatsache, dass mehr Frauen als Männer Schönheitsoperationen vornehmen lassen, zeigt uns die Kluft, die zwischen Männern und Frauen herrscht, wenn es um Macht und Schönheit geht. Zudem beweist es den Druck, der auf den weiblichen Körper ausgeübt wird.

1 https://www.dgaepc.de/wp-content/uploads/2020/09/DGÄPC_Statistik-2019-2020_101120.pdf