Kunst und Gesundheit
Kunstinstallation
queere Identität

[an Stelle von]

Dieser Artikel beleuchtet das künstlerische Schaffen von Félix González-Torres, der in poetischen Installationen politische und soziale Fragestellungen behandelte. Viele seiner Arbeiten aus den 90er Jahren können als kritischer Kommentar zum Umgang mit HIV gelesen werden und sind auch heute noch relevant. Seine Candy Spills und Billboards erzählen von queeren Partnerschaften und hinterfragen die Rolle des Publikums innerhalb und außerhalb des Museumskontextes.

Ein Porträt des Felix Gonzales Torres. Er shaut den Kamera an. Er trägt eine schwarze Lederjacke. Er hat kurze schwarze Haar. Er ist im Dunkel und mit Flash beleuchtet.
Wolfgang Tillmans: Portrait of Felix Outside the Lure, 1994

Zu Beginn der Coronapandemie 2020 kam es immer wieder zu Vergleichen zwischen dem Coronavirus und HIV. Der öffentliche Diskurs bewegte sich anders als bei HIV jedoch schnell von der passiven Verbreitung von Angst zu aktiver Forschung nach einem passenden Impfstoff. Obwohl es einige Ähnlichkeiten in der Entstehung und Zusammensetzung der Viren gibt,1 sind vor allem die Folgen von HIV und Coronavirus für die Betroffenen von Grund auf verschieden. Trotz rapide zunehmender Todesfälle auf Grund von AIDS blieben die Börsenkurse in den 80ern stabil. Staatschef*innen hielten keine Pressekonferenzen zur Lage der Nation. Die Krankheit wurde weitestgehend totgeschwiegen, so wie auch die Menschen meist einen stillen Tod an AIDS starben. Ausgrenzung und Stigmatisierung bedeuteten nicht selten den sozialen vor dem biologischen Tod. Dies lag nicht nur an mangelndem Fachwissen, sondern an gesellschaftlichen Faktoren in den sich gerade konservativ entwickelnden USA der 90er Jahre. Damals ging mit der Bekenntnis zur Erkrankung fast automatisch ein zweites, gesellschaftliches Outing als Homosexuellem oder Drogenkonsument*in einher, woraufhin oftmals Schuldzuweisungen und eine noch größere Stigmatisierung folgten. 

Diese politische Realität von Verlust, Trauer und Vergänglichkeit ist stets präsent in den Arbeiten des Künstlers Félix González-Torres. Untitled (Ross) von 1991 besteht aus einer Anordnung von in bunter Folie verpackten Bonbons, die von den Besucher*innen mitgenommen werden können. In ihrer Ausgangssituation hat die Installation ein Gewicht von 175 lbs (etwa 79 kg), dem Idealgewicht von González-Torres Partner Ross Laycock, der 1991 an AIDS verstarb. Die Candy Works erinnern an die Flüchtigkeit der Zeit, stellen eine Hinterlassenschaft dar, eine Kleinigkeit, die vom Publikum weitergetragen wird, an sich vergänglich ist. Während ein endloser Nachschub gesichert ist, die Arbeit also immer wieder aufgefüllt wird, ist das Kunstwerk einzig definiert durch den Ausstellungszeitraum, innerhalb dessen es gezeigt wird. Seine Form ist fluid: im Moment der Auflösung erschafft es sich immer wieder neu. Die Arbeiten fordern eine aktive Teilnahme des Publikums, durch dessen Eingriff sie erst vervollständigt wird. Das Publikum überführt die Arbeiten auf diese Weise in eine andere Zeitlichkeit.

Ein Haufen farbenfrohe Bon-Bons liegt in der Ecke einer Galerie auf dem Boden. Im Hintergrund ist ein Fenster mit gruunem Landschaft zu sehen.
Félix González-Torres: Untitled (Ross), 1991, Bonbons in bunter Folie, Idealgewicht: 175 lbs Photo Credit: Felix Gonzalez-Torres Foundation

Die Strategien von Auflösung und Verteilung schaffen eine direkte Verbindung zum Publikum. Durch den performativen Akt des Teilens wird eine Intimität geschaffen, die im Kunstbetrieb selten ist. Hierfür nutzte der Künstler gewöhnliche, massenproduzierte Materialien und Gegenstände wie Bonbons, Glühbirnen, Papier und Werbetafeln, um Settings und Räume zu konstruieren, die trotz ihrer Alltäglichkeit politische Statements setzen. Die in Silberfolie verpackten Bonbons können gelesen werden als eine Sichtbarmachung von Personen mit AIDS. Die Mitnahme gleicht einer Anteilnahme des Publikums, doch gleichzeitig repräsentiert sie das Verschwinden der erkrankten Person. Die aktive Teilnahme am Auflösungsprozess hinterfragt die Rolle der Gesellschaft in Bezug auf HIV, welche die Erkrankung lange ignorierte. Auf subtile Weise teilt González-Torres, der 1996 selbst an AIDS verstarb, seine persönliche Geschichte. 

Die Arbeiten erzählen von queerem Begehren und Partnerschaft und verweisen mahnend, aber nicht belehrend, anrührend, aber nicht sentimental auf HIV. Sie werden im musealen Kontext präsentiert, doch sind partizipativ, scheinen teils spielerisch, doch nicht naiv. Sie werden größtenteils in etablierten Räumen ausgestellt, stellen jedoch mit ihrem Konzept oftmals genau jene Institutionen in Frage. Die Arbeiten funktionieren außerhalb der Logik des Kunstmarktes, da kein Objekt zur Ausstellung angeboten wird. Die Arbeiten können konsumiert werden, sind jedoch keine reinen Konsumobjekte. Die Galerien oder Museen bekommen eine Anleitung, was ausgestellt werden soll, und eine ungefähre Gewichtsangabe. Galerien und etwaige Käufer*innen müssen sich außerdem damit einverstanden erklären, die Arbeit kontinuierlich weiterzugeben:2

I want to be like a virus that belongs to the institution. If I function like a virus, an imposter, an infiltrator, I will always replicate myself together with those institutions. Money and capitalism and powers are here to stay, at least for the moment. It’s within those structures that change can and will take place.

Félix González-Torres

So werden institutionalisierte Annahmen zu Autor*innenschaft, Publikum und Ausstellungspraktiken hinterfragt.3 Wie Propaganda oder ein Virus werden die Arbeiten immer weiter getragen und zeigen so die Macht der Vervielfältigung.

Die Werke werden immer wieder neu erschaffen, die Bedeutung entsteht durch den Referenzrahmen. Es sind Titel wie Lover Boys, Public Opinion oder Placebo, die eine bestimmte Lesart der Arbeiten nahe legen. Sie spielen mit der Darstellung des kranken Körpers als Objekt, genauso wie mit der des queeren Körpers als Ware. Auch bei der Installation Untitled (billboard of an empty bed) spielt Gonzalez-Torres mit Symbolik, repräsentiert statt zu zeigen. Zu sehen sind nur die Abdrücke zweier Körper auf einem Bett, wieder ist kein Körper an sich dargestellt. Das Bild zeigt eine Präsenz und gleichzeitige Absenz. 1991 wurden in ganz Manhattan 24 dieser Billboards gezeigt. Zu dieser Zeit war das AIDS-Medikament AZT/ Retrovir bereits auf dem Markt. Nebenwirkungen wie Schüttelfrost, Erbrechen, Kraftlosigkeit, Müdigkeit und hohes Fieber waren eher die Regel statt die Ausnahme. Es war damals das einzig verfügbare Medikament zur Behandlung von HIV-Patient*innen und wurde bereits nach kurzer Testphase auf den Markt geworfen. Die Einnahme musste alle vier Stunden erfolgen, die Heilungschancen waren gering. Entgegen dem omnipräsenten Diskurs, dass sich angeblich nur homosexuelle Männer mit AIDS anstecken können, sind die Abdrücke auf dem Bett keinem Geschlecht zuzuordnen.

Ein Werbtafel zeigt ein Foto eines leeren Bettes. Der Werbtafel ist in einem grauen urbanen Parkplatz.
Félix González-Torres: Untitled (billboard of an empty bed), 1991, Werbetafel, Installationsansicht aus Print/Out, MoMa Photo Credit: David Allison

Die minimalistische Formensprache erlaubt es González-Torres, Themen wie Krankheit, Infektion und Trauer oder kollektive Verantwortung innerhalb eines institutionellen Rahmens zu verhandeln. Laut Renate Lorenz verzichtet er auf Zeichen, die die Arbeit „auf den ersten Blick als eine künstlerische Praxis im Kontext der Debatten um sexuelle Identität und Herkunft erkennbar machen könnten.”4 Es gibt keine queeren Körper zu sehen, auch heteronormative Körperdiskurse werden nicht reproduziert. Was macht sie also zu queeren Installationen? Lorenz sieht die Werke als Platzhalter für queere Subjektivität und Begehren, statt diese visuell darzustellen.5 Sie repräsentieren Subjektivitäten, „die nicht in der performativen Wiederholung gesellschaftlicher Normen aufgehen”.6 Stattdessen lassen sie ausreichend Spielraum für die Betrachter*innen, ihre eigenen Fantasien auf die Arbeiten zu projizieren. 

Mich spricht vor allem die Unmittelbarkeit der Arbeiten an. Es bedarf keines kunstwissenschaftlichen Hintergrunds, um sie zu begreifen. Die Erfahrung der Werke ist eine direkte, emotionale, da sie an eine Form der Alltäglichkeit geknüpft ist. Die Arbeiten haben eine symbolische Bedeutung, ohne alleine aus Symbolen zu bestehen – der Sinnzusammenhang ist direkt. Die Candy Works beschreiben ein Nebeneinander von Lust und Verlust. Die orale Aufnahme der Bonbons, ihre Einverleibung geht dabei mit der tatsächlichen Auflösung der Arbeit einher. Wer nimmt hier etwas in sich auf? Wer wird infiziert? Obwohl die einzelnen Bestandteile kaum etwas wiegen und sich die Form der hier erwähnten Arbeiten stetig verändert, strahlen sie in ihrer Gesamtheit eine unheimliche Körperlichkeit aus. Dies liegt auch daran, dass sie eines der größten Tabus des Museums aushebeln: die Arbeiten anzufassen (siehe die Debatte um die Klimaproteste der “Letzten Generation”.) Statt des Verbots werden die Besucher*innen angeleitet, kleine Anteile der Arbeit in sich aufzunehmen oder zu verteilen. Das bunte Bonbon wird so mit einem Handgriff zum Virus, das sich immer weiter verbreitet. Während Félix González-Torres eine feste Größe innerhalb der Kunstwelt ist, hat die gesellschaftliche Debatte um HIV allerdings noch einen langen Weg vor sich.

Quellen

  1. 1. Tee-Melegrito, R. A.: How do the HIV/AIDS and COVID-19 pandemics compare? Medicalnewstoday.com. 12.08.2021. https://www.medicalnewstoday.com/articles/hiv-vs-covid. 05.12.2021.
  2. 2. vgl. McDonald, Lauren McDonald McKeen: ‘Untitled’ (the End): An Installation by Félix González-Torres Hero Image. LIBRARIES Blog, Northwestern University, 13.04.2017, https://sites.northwestern.edu/northwesternlibrary/2017/04/13/untitled-the-end-an-installation-by-felix-gonzalez-torres/. 15.06.2020.
  3. 3. Félix González-Torres in Maurizio Cattelan: “Maurizio Cattelan Interviews Felix Gonzalez-Torres,” Mousse Magazine 09, S. 49.
  4. 4. Renate Lorenz: “Körper ohne Körper : queeres Begehren als Methode”, in: Mehr(wert) queer: visuelle Kunst, Kunst und gender-Politiken, transcript Verlag, 2009. S. 135.
  5. 5. ibid. S. 136.
  6. 6. ibid. S. 138.

Lest hier mehr zur Arbeit von Künstler*innen und Aktivist*innen bezüglich gesundheitlicher Aufklärungskampagnen zu HIV in den 1980ern im Vergleich zu COVID heute.


Text von Elena Dorn. Elena Dorn wurde 1990 in Aschaffenburg geboren. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Frankfurt am Main und Prag. Seit 2017 studiert sie in der Klasse Streuli an der Universität der Künste. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich vor allem mit Zeit und (deren) Wahrnehmung. Sie lebt in Berlin.