story

„Corona! Du bist Corona!“ – „Ich realisierte nicht, wie traumatisiert ich davon eigentlich war.“

Europa ist wegen des Coronavirus im Ausnahmezustand. Unterdessen machen sich rechtsextreme und antisemitische Äußerungen breit.

Seit Wochen berichten Asiatinnen und Asiaten weltweit von Beschimpfungen und Diskriminierung im Zusammenhang mit dem Virus. 

Besonders in Berlin kommt es zu brutalen Äußerungen und mit Gewalt verbundenen Übergriffen. 

Ein Bericht von drei jungen Erwachsenen aus Berlin. 

Popo Fan steht vor dem Brandenburger Tor mit dem Schild “Freedom of Speech”

Dan LIU, 25

Weil mehr und mehr Menschen in Deutschland mit dem Virus infiziert werden, glauben wir, dass wir eine Infektion verhindern und Andere effektiv schützen können, wenn wir eine Maske tragen. In letzter Zeit trage ich also eine Maske, wenn rausgehe.

Beim Einkauf

Vor drei Tagen war ich im Supermarkt mit meinem Freund einkaufen und auf einmal kam ein fremder Man mittleren Alters zu mir und beschimpfte mich als „Chinesischer Virus!“ Er befahl uns mit erhobener Stimme aus dem Supermarkt zu verschwinden. Er verhöhnte, verspottete und zog uns damit auf.

Wir diskutierten mit ihm, und schließlich ist er dann verschwunden. Ich fand sein Verhalten lächerlich, aber ich war schockiert, dass ein Mann in seinem Alter noch so unreif und unvernünftig ist. Mein Freund und ich wurden nicht physisch verletzt, aber die Dummheit von solchen Leuten ist unbegreiflich. 

Zuvor habe ich schon gehört, dass chinesische Studenten*innen, wie ich, das Gleiche oder sogar etwas Schlimmeres erlebt haben, nur weil sie Masken getragen haben. Wir können verstehen, dass verschiedene Kulturen unterschiedlich mit dem Virus umgehen.

Wir sind keine Viren!

Wir tragen Masken, um uns und andere zu beschützen und um keinen Schaden bei anderen zu verursachen. Wenn wir also mit Diskriminierung konfrontiert sind, dann denken wir, dass diese Personen super naiv und unreif sind. Die haben nicht den erwachsenen Verstand, um dieser Angelegenheit entgegen zu treten. Das ist zu lächerlich. 

Ich trage immer noch eine Maske, wenn ich raus gehe. Mein Verhalten wurde durch den Vorfall nicht sonderlich beeinflusst. Ich glaube, die meisten Menschen in der Gesellschaft habe immer noch einen normalen Verstand. Aber der Sicherheit zuliebe vermeide ich es, ganz alleine rauszugehen. 

Ich glaube, es ist wichtig diese Angelegenheit zu diskutieren, da es mehr Menschen in der Gesellschaft geben sollte, die sich besser mit der Entstehung des Virus auskennen.

Wir sind keine Viren! Wir versuchen nur uns und andere zu beschützen. Wir sollten nicht so behandelt werden.

Außerdem glaube ich, dass arrogante Leute immer arrogant bleiben und das Virus ihnen nur eine Entschuldigung für ihre Arroganz gibt, selbst wenn es total unschlüssig ist. Die aktuelle Situation gibt ihnen nur einen Grund, ihrer Arroganz und Unreife freien Lauf zu lassen. Aber die meisten Leute sind doch sehr sensibel in dieser Situation. 

Popo Fan, 34 

Ich bin Filmemacher und Aktivist. Ich habe erst im Nachhinein realisiert, wie traumatisiert ich von einem Erlebnis überhaupt war. 

Als die Epidemie anfing, bin ich weniger rausgegangen und habe meine Zeit draußen reduziert. Besonders öffentliche Verkehrsmittel habe ich gemieden. Wenn ich rausgehe oder rausgehen muss, nehme ich immer das Fahrrad. Es ist ehrlich gesagt ein gutes Training und das Einzige, was ich mache.

Ich versuche auch nicht zu großen Plätzen zu gehen, wo viele Menschen sind. Aber eine Sache die ich nicht vermeiden kann sind Termine, die mit meinem Job als Filmemacher zu tun haben. Ich nehme an Workshops teil und habe einen Auftritt bei den Teddy Awards auf dem Festival. Die Menschen dort sind eigentlich liberal und offen, aber anscheinend nicht alle.

„CORONA! CORONA! CORONA!“

Ich hatte die Erfahrung mit einer Frau, die auf dem Festival in dem Publikum neben mir saß. Sie bedeckte ihr Gesicht mit ihrem Schal, schaute die ganze Zeit zu mir und starrte mich richtig an. Während der Filmvorführung habe ich nichts gemacht, aber die Frau schaute mich die ganze Zeit an. Ich realisierte dann: Oh fuck, das ist weird. Auch wenn ich nicht hundertprozentig sagen kann, dass es rassistisches Verhalten ist, war es unangenehm und merkwürdig. 

Aber dann, einen Tag später, habe ich vom Film-Festival die U-Bahn zurück nach Hause genommen. Auf dem Bahnsteig am U-Bahnhof Hermannplatz kam ein Mann zu mir und sagte: „Woher kommst du?“ Ich sagte: „Ni Hao, ich bin aus China.“ „Oh,“ sagte er dann nur, „das ist nicht deine Angelegenheit. Lass mich in Ruhe.“

Und plötzlich wurde er aggressiv und rief: „CORONA! CORONA! CORONA!“ „Ich bin was?!“ Ich habe ihn dazu angestachelt es noch einmal zu sagen. „Ja, Corona! Corona Virus! Corona Virus!“ Ich wurde sehr sauer, habe ihn angeschrien und mich gewehrt.

Er erschrak sich dann auch. Du musst wissen, ich bin 1,80 m und sehe tough aus (lacht). Der Typ war um die zwanzig und sehr betrunken. Er hatte zwei Freunde dabei. Und da bekomme ich immer ein bisschen Angst. In der U8 waren auch nur ganz wenige Leute. Ich gehe also in die Bahn und die gehen auch in die Bahn. In den gleichen Waggon. Ich weiß nicht, wie vertraut die miteinander waren, aber sie sprachen und lachten zusammen und dann wurden sie noch aggressiver. Der eine kam auf mich zu und beschimpfte mich. Er kam immer näher und schrie mich an. „Corona Virus. Fuck China. Fuck you. Ich ficke deine Mutter.“ 

Ich habe das Ganze gefilmt. Als er vor mir stand und sein Gesicht fast meins berührte, da hat er mich angespuckt. Als ich aus der Bahn ausgestiegen bin hat er mir nachgerufen, mich angeschrien und mir den Mittelfinger gezeigt. Worüber ich danach nachdenken musste und was ich ziemlich schlimm finde ist, dass da noch andere Leute in der Bahn waren. Nicht viele, aber ein paar.

Niemand hat geholfen. Niemand.

Und sie haben nichts gemacht. Niemand hat geholfen. Niemand. Als ich ausgestiegen bin, war da nur eine Frau, die zu mir meinte: „Hey, du solltest dich nicht mit ihm anlegen. Du solltest lieber fern von ihm bleiben.“ Das klang so, als hätte ich etwas falsch gemacht.

Das Ding ist, ich habe mich nicht mit ihm angelegt. Er war so aggressiv und hat versucht sich mit mir anzulegen! Ich war, ehrlich gesagt, bestürzt. Ich habe nicht realisiert, wie traumatisiert ich von dieser Erfahrung war. Ich war dann auch bei der Polizei, aber die hat mir in keiner Weise geholfen. 

„I don’t care!“

Einen Tag später wollte ich einen Film schauen, aber ich konnte mich einfach nicht auf die Handlung konzentrieren, denn meine Gedanken sind immer und immer wieder zu dem Vorfall abgeschweift. Es hat mich nicht losgelassen. Ich habe dann versucht nicht rauszugehen, aber es war auch zu Hause schwer, mich auf die Filme zu konzentrieren.

An einem Tag hatte ich dann aber ein Treffen mit einer NGO und als ich an dem Bahnsteig war, brannte sich nur ein einziger Gedanke in meinen Kopf: Ich will nicht in diese Bahn einsteigen. Ich fühle mich nicht mehr sicher, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Schließlich bin ich dann vierzig Minuten mit dem Fahrrad dort hingefahren. Ich war etwas zu spät, aber es ging noch. Die Kommentare und Beschimpfungen sind immer da. Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen sollte, wenn ich von alten Erfahrungen erzählen müsste. Durch Corona werden es nur noch mehr. 

Die beiden Personen, die mich beschimpft haben, gehörten auch einer anderen Nationalität an. Ich glaube, die eine Person war türkisch. Zumindest waren sie nicht deutsch und stammten auch nicht aus Berlin. Sie waren also selber Ausländer. So wie ich! Und trotzdem beschimpfen sie mich.

Ich finde es schlimm, dass so etwas passiert. Minderheiten sollten die jeweils anderen unterstützen. Das versuche ich auch durch die Kunst darzustellen. Ich setze mich für Minderheiten in der Gesellschaft ein. Ich plane eine Reihe von Aufnahmen, wo Medohisten und China verbunden werden. 

Im Moment gehe ich nicht mehr raus. Ich bin seit einer Woche nicht nach unten gegangen. Nicht mal zum Briefkasten. Morgen muss ich leider nochmal raus. Aber ich habe eine Maske und ich werde sie tragen. Ich werde sagen: „I don’t care!“

Li Peiyuan, 24 

Zuerst möchte ich klarstellen, dass ich keiner von den schwachen Leuten bin. Ich wehre mich gegen Beschimpfungen. Seit ungefähr sechs Jahren lerne ich jetzt Kung Fu. Einmal lief ich auf der Straße und plötzlich kam ein Junge, der zu mir sagte: „Corona Virus! Chinesischer Virus! Geh zurück nach China!“ So etwas in der Art schrie er glaub ich. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. 

Doch ich lief dann zu ihm und fragte: „Was hast du gesagt? Bist du rassistisch?“ Er murmelte dann nur irgendwas wie „Ja, doch“ oder so. Dann kam er mir näher, ballte seine Faust und trat mir gegen mein Knie. Ich trat zurück und wir schlugen uns.

Natürlich wäre es besser gewesen, es einfach auf sich beruhen zu lassen. Doch das habe ich schon so oft gemacht und ich kann es einfach nicht mehr. Ich habe gelernt mich zu verteidigen und tue es auch, wenn ich kann. Deshalb wurde ich bis jetzt auch noch nie richtig verletzt, aber es nimmt einen natürlich trotzdem mit, also psychisch.

Als ich noch ein Kind war, wurde mir in der Grundschule in China von meinen Lehrern, aber auch von meinen Eltern erzählt, dass wir Ausländer höflich behandeln sollen, weil sie Gäste in unserem Land sind. Es gibt auch ein Sprichwort auf Chinesisch: „有朋自远方来,不亦乐乎。” Das bedeutet, dass wir unsere Gäste gut und höflich behandeln sollen. Es erfüllt mich deshalb mit Trauer, wenn ich sehe, dass ich nicht so behandelt werde, wenn ich ein Gast in einem anderen Land bin. Stattdessen werde ich mit Diskriminierung konfrontiert.

Ich meine, jedes Land und jede Region hat ihre Probleme. Abgesehen von Rassismus gibt es noch Probleme mit der Religionsfreiheit, den Kriegen und der Natur. Wir sollten uns mit diesen Problemen beschäftigen und Klarheit schaffen. Die Situation, die wir hier im Moment haben, sollte nicht größer und stärker werden, sondern kleiner. Man sollte sich bemühen, sich mit der Situation auseinanderzusetzen.

Ich fühle mich dennoch im Moment sehr schwach und habe keine Kraft mehr. Aber glücklicherweise gibt es viele freundliche Leute und auch Lehrer, die sich um mich sorgen. Rassismus gibt es schon immer. Schon bevor es das Virus gab. Gäbe es das Coronavirus nicht, dann gäbe es andere Äußerungen, um die Leute zu diskriminieren. Das Virus gibt ihnen nur einen Grund, jetzt noch lauter zu werden.