Kommentar

Die Kunst in der Quarantäne.

Die sozialen, finanziellen und rechtlichen Bedürfnisse von Künstlerinnen und Künstlern zum Zeitpunkt von COVID-19 in Berlin.

Unter den literarischen Bestsellern befindet sich »Die Pest« von Albert Camus. Dieser Klassiker erzählt eine Geschichte der Oran, einer algerischen Stadt, wo die Pest ausgebrochen ist. Die Situation in Oran gleicht der Momentanen, in der COVID-19 die Struktur unseres Alltags auf den Kopf gestellt hat. Der Roman legt den Fokus jedoch nicht auf Angst oder Krankheit, sondern auf die Lebenden und ihre Solidarität, Liebe und Freundschaft. Leser°innen finden darin Trost, Frieden und Weisheit.

Grafik von So Jin Park

Die Kunst schlägt Lösungen für das Gestern, das Heute und das Morgen in erstaunlicher und unterschiedlicher Weise vor. Die Themen, die Kunst impliziert und ausdrückt, basieren auf einer Vielzahl von Ideen und Situationen, die vom Kapitalismus und Konsumismus stark distanziert sind. Aufgrund dieser Position befinden sich in schwierigen Zeiten besonders Künstler*innen in größerer finanzieller Not als andere Mitglieder der Gesellschaft.

80 % der Künstler*innen sind auf Nebentätigkeit angewiesen

Auf dem Manifest der berlinischen Aktionsgruppe „Haben und Brauchen“ stehen Informationen über die Einnahmequelle von Künstler*innen in Berlin im Jahr 2011. 45 % der Künstler*innen benötigten finanzielle Unterstützung von Dritten und übten Nebentätigkeiten aus, die keinen Bezug zur Kunst haben. Nur 26 % verdienten Geld mit ihren eigenen Werken. Diese Situation scheint bis 2019 kaum verändert zu sein, laut eines Artikels von BBK (Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler). Obwohl international anerkannte Künstler*innen in Berlin arbeiten und wohnen und ein Kunstwerk für mehr als eine Million Euro verkauft werden kann, brauchen 80 % der Künstler*innen eine Nebentätigkeit. Sie leiden unter Hungerlöhnen und haben kaum eine finanzielle Absicherung oder Altersvorsorge.

Ein offener Brief »Cancel everything, pay everyone!« von DOCUMENTATIONS verlangt daher von Museen, Galerien, Kunstmessen, Kunstzentren, Universitäten, Theatern und Festivals, ihre Künstler*innen, beziehungsweise Auftragnehmer*innen zu bezahlen, obwohl die Aufträge wegen COVID-19 abgesagt werden mussten. Eine „Open Petition“ auf der Website „openpetition.de“ und ein offener Brief des Deutschen Designtags rufen während des Corona-Shutdowns ebenfalls Hilfen für Freiberufler*innen und Künstler*innen aus.

Schadensersatzpflichten bei Absagen

Ob man als Auftraggeber*in für abgesagte Veranstaltungen und Ausstellungen bezahlen sollte, dafür gibt es eine rechtliche Antwort. Auf der Website von Peter Raue, dem Anwalt für Kunst und Kultur, ist der Artikel »COVID-19 und die Künste – Absage von Veranstaltungen und Nothilfen für Künstler*innen« vorzufinden. Wenn die beteiligten Künstler*innen die Leistung nicht vollständig erbracht haben, könne der Anspruch auf Zahlung nicht erhoben werden. Wenn sie jedoch wegen der Absage keine Leistung erbringen können, dann sollte man schauen, ob der Vertrag Regelungen für solche Situation hat. Falls nicht, gebe es laut den zivilrechtlichen Vorschriften keinen Anspruch auf Zahlung.

Auch Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) hat in einem Interview die aktuelle Situation aus seiner Perspektive erläutert. Der Berliner Kultursenat sei bereits von der Stabilisierung der eigenen Einrichtungen überfordert. Aber „es entstehen unter Umständen Schadenersatzpflichten bei Absagen. Die Cafés und Shops in den Einrichtungen sind betroffen, auch die gesamte freie Szene, Musiker, die auf Auftritte angewiesen sind, Schauspieler, die von der Abendgage leben. […] Ich bekomme Anrufe von Leuten, die nicht wissen, wie sie im nächsten Monat ihre Miete zahlen sollen. Niemand weiß im Augenblick, welche Folgen die Krise zum Beispiel für Off-Kinos, Konzertveranstalter, Lesebühnen, Clubs und die Soziokultur hat und wie sie ihre wegbrechenden Einnahmen auffangen sollen. […] In der Finanzkrise 2008 wurden in wenigen Tagen enorme Mittel, Billionen Euro, für die Rettung der Banken zur Verfügung gestellt. Wenn wir Banken und Gewerbe retten, müssen wir auch die für das Existieren eines demokratischen Gemeinwesens unverzichtbare Kulturlandschaft retten“.

Es gibt jedoch eine positive Wirkung von COVID-19 auf den Bereich Kunst. Laut dem Artikel „Mir geht es gut, ich arbeite“ sei Honorierung der Künstler*innen für Ausstellungstätigkeit bisher nicht ernst genommen worden. Die genaue Information über Verdienstausfall bei einer abgesagten Ausstellung existiert nicht. Diese Situation erschwert es, Künstler*innen staatliche Hilfe zu beantragen. Die oft in Berlin ausstellende Fotokünstlerin Nicole Ahland sagte, „mit der Krise vom Coronavirus werde die dauerprekäre Lage (der Künstler*innen) endlich anerkannt und hoffentlich zum Anlass genommen, über eine vernünftige Altersvorsorge von Künstler*innen zu diskutieren.“

Schöne Politik bietet den marginalisierten Gruppen in einer Gesellschaft Wahlmöglichkeiten. Nicht alle Teile der Gesellschaft zu unterstützen, sondern nur diejenigen, die sichtbar und mehrheitlich sind, ist nicht demokratisch.

Not macht erfinderisch

Daher hat Berlin für Solo-Selbstständige, Freiberufler*innen und Kleinunternehmen insbesondere in Kultur und Kreativwirtschaft Soforthilfemaßnahmen beschlossen. Auch können Künstler*innen Hilfen aus dem Hilfspaket der Bundesregierung beantragen. Des Weiteren bietet die Künstlersozialkasse die Möglichkeit an, die Beitragsmeldung zu verändern und die Einnahme zu reduzieren. „Club Quarantäne“, eine Berliner Non-Profit-Organisation, unterstützt Künstler*innen finanziell durch ihren Open Call.

Nach der Recherche über andere Anträge könnte man als Künstler*in und Kulturinstitut neue Wege suchen, wie man seine Fähigkeiten und Kenntnisse zur neuen Anwendung bringt. Auf der Plattform „berlinalive.de“ kann man täglich umfangreiche Livestreams aus verschiedenen Genres ansehen und gleichzeitig Künstler*innen per Spende unterstützen. Auf „domestika.org“ kann man seine künstlerischen und gestalterischen Techniken per Video-Format mitteilen und Geld verdienen. Weiter kann man auf digitalen Plattformen experimentieren, wie man mit seinem Publikum in neuer Weise kommuniziert. Not macht erfinderisch.