interview

Ein Semester mal anders

Die UdK ist ein Ort für Experimente. Ein Probieren, ein Versuchen, ein Raum für kreative Möglichkeiten, die scheitern oder klappen werden. Doch nun bietet sich uns ein völlig neues Experiment.

Zsófia Puszt: THE CLASS

„Sehen wir das kommende Semester als großes Experiment und Beginn einer langfristigen Auseinandersetzung mit dem Digitalen in den Künsten.“ Dieser Satz von Prof. Dr. Nobert Palz, dem Präsidenten der UdK, prangt neben vielen anderen auf der Startseite der Universität.

Unser Semester, in welchem wir alle in unseren Räumen festhängen, in denen wir den Versuch unternehmen, trotz der Umstände weiterzumachen und online zu lernen, ist ein Wagnis. Es bezweifelt das Gewohnte und das Sichere. Wir sitzen nicht wie üblich in Seminaren, Vorlesungen und basteln, tanzen, singen oder schauspielern.

Für manche Studiengänge scheint es fast unmöglich zu sein, Online-Unterricht zu betreiben. Viele Studierende haben ihre nötigen Materialen nicht Zuhause und befinden sich in Ausnahmesituationen, in denen sie nicht weiter studieren können, da sie ihrer Familie helfen müssen oder ihren Job verloren haben. Trotz alledem hat sich die UdK für ein Online-Semester entschieden.

Ich selber studiere Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Für mich gestaltet sich die Online-Lehre noch am einfachsten. Wir haben Vorlesungen und Seminare, die sich leicht ins Digitale verwandeln lassen. Doch wie sieht das Ganze bei anderen Studiengängen aus, die darauf angewiesen sind, mit ihrer Gruppe zu arbeiten? Wäre vielleicht nicht doch ein zusätzliches Semester besser gewesen? Können wir so, unter diesen Umständen, überhaupt anständig arbeiten? Anständig studieren?

Hêvîn Tekin, studiert Schauspiel im fünften Semester

Photo: Zsófia Puszt, THE CLASS
https://www.instagram.com/sophiepszt/

Wie funktioniert das Studium jetzt bei dir? Ihr arbeitet ja sonst immer in Gruppen und seid auf diese, sowie auf den Raum angewiesen. Und jetzt ist das nicht mehr möglich.

Diese Zeit ist jetzt tatsächlich nochmal mehr ein Beweis dafür, was Theater ausmacht. Das ist halt einfach dieser Live-Charakter und diese Momente, die man nicht wieder zurückspulen kann, wie beim Film. Indem man auf den Partner reagiert, auf die Gegebenheit, auf den Zuschauer. Man hat ja auch immer ein Gegenüber und das jetzt alles zu transformieren, ist sehr sehr schwer. Wir haben jetzt von den Dozierenden provisorisch ein Angebot an Fächern bekommen, die eventuell machbar sind. Wie tänzerische Übungen oder Sprechunterrichte, die halt auch wichtig sind. Und es ist alles erst mal nur ein Probieren von beiden Seiten. Sowohl von den Dozierenden als auch von uns Studierenden.

Was siehst du kritisch an der Situation? Wie stark bist du eingeschränkt?

Wir sind jetzt, glaube ich, in der dritten Woche. Für mich funktioniert vieles überhaupt gar nicht. Es ist super schwer, zum Beispiel Sprechunterricht. Ich bin jetzt im fünften Semester und das, was ich mir das letzte Semester, die letzten Jahre total erarbeitet habe, wie die Stimme im Raum; also wie sende ich in einem großen Raum, wie spreche ich auf einer großen Bühne, sodass der in der letzen Reihe mich versteht.

Da müsste ich jetzt bewusst alles reduzieren. Reduzieren auf diese Kamera. Du machst es halt bewusst, weil du ja nicht ins Mikro schreien willst. Klar, wir versuchen auf Alternativen umzuspringen, indem wir dann halt irgendwelche Texte theoretisch besprechen. Aber es ist irgendwie … es ist irgendwie nicht so ein richtiger Need da.

So individuell wie wir halt alle sind, so ist auch der Umgang damit. Für manche funktioniert einiges zum Beispiel gut und ich bin gerade an dem Punkt, dass ich sage: Statt irgendwie eine Stunde vor der Kamera etwas auf Zwang zu machen, bringt mich menschlich und künstlerisch ein Spaziergang weiter.

Photo: Zsófia Puszt, THE CLASS
https://www.instagram.com/sophiepszt/

Wie fühlst du dich in der Situation?

Theater digital, das ist einfach … da bin ich komplett anti. Du spielst gerade nicht, du probst gerade nicht, sondern alles, was halt online funktioniert, sind die theoretischen Auseinandersetzungen. Und das ist natürlich ein krasser Cut. Sonst hast du ein Gegenüber auf der Bühne, das reflektiert das, was auf der Bühne passiert. Du hast einen Spielpartner. Du hast dich und deinen Körper, der sich zu einem Raum verhält und all das ist online einfach nicht umsetzbar. Und dann entsteht natürlich die Frage: Warum probieren irgendetwas auf Zwang, was nicht geht?

Das Studium ist so intensiv und wir haben so krasse Stundenpläne und jetzt muss man das alles erstmal verdauen, denn wir haben grade im Gegensatz zu unserem normalen Stundenplan fast gar nichts.

Wie sieht das online genau aus?

Ich hatte letztens eine Sitzung Sprachunterricht über Zoom. Da haben wir uns darauf geeinigt, dass wir Textarbeit machen. Ich hab was vorbereitet, wir haben ein bisschen gelesen, Gedankenbögen behandelt und geschaut, wie sich das auf die Sprache auswirkt. Das hat funktioniert. Aber bei der nächsten Zoomsitzung mussten wir dreimal abbrechen, weil jemand eine schlechte Internetverbindung hatte. Das ist so ein Chaos, raubt total viel Energie und mich macht das auch aggressiv. Beim Sprechen haben wir dann leider auch deprimierend festgestellt, dass auch wenn ich mich warm mache und mich körperlich in eine Durchlässigkeit kriege oder Artikulationsübungen mache, dann bin ich zwar warm und hab dann Unterricht, aber setzte mich dann vor den Laptop und bewege mich nicht und alles sinkt wieder. Das ist also eher kontraproduktiv als das es produktiv ist. Das ist sehr demotivierend.

Ich hab zum Beispiel noch Glück, ich kann mich in meinem Zimmer bewegen und meine Übungen machen, aber ein Kumpel von mir, der stößt die ganze Zeit an eine Wand oder so.

Und was jetzt online ist, sind eben Theoriefächer. Man kann versuchen, sich mit Dozierenden, Studierenden und jahrgangsübergreifend zu connecten und eventuell gemeinsam an Sachen schreiben, Ideen umsetzen. Es gibt eben Angebote und man versucht, diese so gut wie möglich umzusetzen. Aber wie zum Beispiel eine Prüfung aussehen soll bei uns, bei der man sich ja normalerweise mit Monologen auseinandersetzt, probt und dann im Szenenstudium zeigt, das wissen wir alle nicht. Da stehen auch die Dozenten auf dem Schlauch. Die wissen auch nicht wie.

Photo: Zsófia Puszt, THE CLASS
https://www.instagram.com/sophiepszt/

Hättest du das Semester lieber verschoben und ein 7. Hochschulsemester gehabt? Wie ist deine Meinung dazu?

Das ist bei uns auch das Problem. Da wir sehr feste Stundenpläne haben, kann man dann nicht einfach dort weitermachen wo man aufgehört hat. Wenn man dort weiter macht, dann müssten wir quasi ein Jahr warten und könnten halt keinen neuen Jahrgang aufnehmen. Die Dozenten können jetzt noch nicht einschätzen, ob wir dann, indem wir in den Semesterferien Dinge nachholen, falls das alles nachholbar ist, wir einfach nach Plan weitermachen. Das ist halt auch eine Ungewissheit.

Aber es ist auf jeden Fall ein Verlust. Ich weiß nicht, wie die das machen wollen, ob die so tun wollen als wäre nichts passiert, auch wenn das gar nicht geht. Ich finde es ist keine klare Haltung. Wenn man sagen würde: Es ist gerade diese Situation und gesellschaftspolitisch ist gerade total viel los, deshalb überlegen wir uns alternativ dass wir jetzt etwas für die Gesellschaft machen. Alle. Als Uni. Ich meine, die Welt geht gerade gefühlt unter. Was an den Grenzen bei Griechenland passiert, das ist so absurd. Und die versuchen hier jeden Tag so weiterzumachen als ob nichts passiert wäre. Und das sagt ja auch etwas über die Gesellschaft aus. Ständig funktionieren zu müssen und es geht wieder nur um Geld. Und das ist das, was so schlimm ist und unseren Studiengang so betrifft. Unsere Dozenten können jetzt noch gar nicht einschätzen, ob alles nachholbar ist. Wir sind noch nicht an dem Punkt, wo die Studiengangsleitung sagt, dass wir das alles nicht mehr aufholen können. Es ändert sich jede Woche. Wenn gesagt werden würde, dass man schrittweise an verschiedenen Stellen wieder weiter machen könnte, dann kann man sich überlegen ob man in den Semesterferien weiter macht oder im Park auf Distanz mit Bewegungsunterricht anfängt. Aber dadurch, dass es alles so unklar ist, kann man auch keine klare Haltung entwickeln.

In einem Vorlesungssaal könnte man die Studierenden noch in Gruppen einteilen und auf Distanz setzen, aber bei uns basiert alles auf Körperkontakt. Und auf Nähe. Den anderen Körper zu spüren. Und wie verhalten sich unsere Körper zueinander im Raum, wenn sie nah sind, wenn sie weit weg sind. Das sind halt alles Sachen, die jetzt nicht gehen. Das einzige was bei mir geht, ist das Studium Generale. Davor hatten wir halt nie Zeit und wir brauchen ja die Leistungspunkte und da ziehen wir uns jetzt gefühlt jeder so hundert Seminare rein, damit man das aufholen kann (lacht). Aber alles andere ist echt so schwierig.

Hat diese Situation auch positive neue Erkenntnisse?

Wir probieren halt alle trotzdem künstlerisch irgendetwas zu machen, heißt zum Beispiel: Dinge, für die wir nie Zeit hatten, also zum Beispiel eigene Monologe. Es schließen sich auch eigene Gruppen zusammen, die Ideen umsetzen wollen. So kleine Projekte, die man jetzt halt umsetzen kann oder will. Ich versuche diese Zeit jetzt trotzdem zu nutzen. Es passiert ja total viel. Auch innerlich. Ich versuche eigene Projekte umzusetzen, Texte zu schreiben und so weiter.

Auch wenn es schwierig ist, ist es aber trotzdem wichtig, dass wir empowernd denken. Dass wir die Dinge neu starten. Dass es danach mit einer anderen Energie weitergeht. Jeder von uns wird anders weit sein, da wir alle einen Prozess durchgemacht haben. Und ich sehe es auch als Chance für uns alle. Diese Situation hat uns beide zum Beispiel zusammengebracht. Wer weiß, ob sich unsere Weg davor gekreuzt hätten. Es werden dadurch auch neue Wege geschaffen. Das A und O ist, dass man sich organisiert, im Austausch bleibt und dann versucht gemeinsam mit Energie eine neue Phase zu starten. Es ist wichtig, einen Bogen zu schaffen und zu sagen, ja ok, das ist jetzt gerade die Situation und, hey komm, wir machen jetzt irgendwas. Und nicht die Leute mit so einem ekligen Gefühl jetzt stehen zulassen. Eben mit einem empowernden Gefühl aus den Krisensituationen heraus zukommen, weil nach Krisen und Chaos folgt immer etwas Neues.

Fine Sendel, studiert Schauspiel im fünften Semester

Zsófia Puszt: THE CLASS

Wie funktioniert das Studium jetzt bei dir? Ihr arbeitet ja sonst immer mit eurer Gruppe, seit auf diese ja angewiesen. Und jetzt ist das nicht mehr möglich. Wie geht das nun?

Ein Jahrgang besteht in der Regel aus zehn Leuten, davon gibts insgesamt immer vier. Und Ja, wir haben Unterricht als ganze Gruppe, aber auch einzeln, und genau das haben wir quasi auch jetzt, nur dass wir Schauspiel jetzt komplett digital studieren, was an sich ja paradox ist, aber doch irgendwie möglich. Wir haben einen festen Stundenplan, loggen uns pünktlich bei den entsprechenden Zoom-Meetings ein, und dann gehts los.

Kannst du überhaupt in dieser Situation richtig studieren? Wie stark bist du eingeschränkt? Was kannst du alles nicht mehr machen?

Vorspiele wie „damals“ sind natürlich unmöglich. Und das ist ja Hauptbestandteil meines Studiums. Eingeschränkt sind wir alle auf jeden Fall! Aber doch lässt sich viel theoretische Vorarbeit erledigen, oder man fokussiert sich jetzt viel intensiver auf Lerninhalte, die man sonst nur grob behandelt hätte. Zum Beispiel arbeite ich gerade mit meinem szenischen Professor an meiner Wahlrolle, indem wir uns viel mit dem Text beschäftigen und ich so viel mehr Wissen habe, wenn ich sie mit ihm dann endlich im Proberaum praktisch arbeiten kann.

Übst du alleine in deinem Zimmer? Und trefft ihr euch dann in Online-Meetings? Wie läuft das online ab?

Zsófia Puszt_THE CLASS


„Üben“ in meinem Zimmer, das tue ich tatsächlich, aber das beschränkt sich dann eher auf Gesangs-, Tanz-, und Sprechunterrichte, wobei mich die jeweiligen Dozierenden über meine Laptopkamera beobachten und berichtigen können. Szenische Arbeit, also das „Schauspiel“ an sich, erfolgt dann eher in theoretischer Form, in Form von Diskussionen und in Auseinandersetzungen mit Texten. Ich habe lange, lange nicht mehr gespielt. Das fehlt sehr!

Wie fühlst du dich in der Situation?

Jetzt wieder heimisch. Die Anfangszeit von Corona waren ja gleichzeitig meine Semesterferien, ich hab wochenlang nichts gemacht und mich sehr, sehr systemirrelevant gefühlt. Und das nach zwei Jahren, wo man manchmal bis zu 14 Stunden am Tag in der Uni ist, welche sich dann irgendwann mehr nach Zuhause anfühlt als die eigene Wohnung, in welcher ich mich damals fast nur zum Schlafen aufhielt. Ich fühlte mich entfremdet, aber allein der Anblick von Dozierenden und Kommiliton*innen auf dem Bildschirm ließ dieses UdK-Feeling wieder etwas aufkommen. Klar, es könnte besser sein. Aber es ist dann doch etwas.

Hättest du das Semester lieber verschoben und ein 7. Hochschulsemester gehabt? Wie ist deine Meinung dazu?

Ich habe ja eh acht Semester, ein neuntes …, uiuiui. Aber ich wäre dafür gewesen, oder bin es immer noch, ein komplettes Jahr auszusetzen, damit sich nichts unangenehm verschiebt. Wir fangen ja im Sommer an, und so hätte auch der erste Jahrgang ein richtiges erstes Semester bekommen. Aber dafür hätten alle anderen staatlichen Schauspielschulen mitziehen müssen, da es viele gemeinsame „Interaktionen“ gibt, wie zum Beispiel das Schauspielschultreffen oder das Absolventenvorsprechen.

Und wie gehst du schließlich mit dem Ganzen um?

Eigentlich hat sich meine Vorahnung nur bestätigt; man kann Schauspiel nicht digital studieren. Aber trotzdem sehe ich es positiv, nur zu meckern bringt ja nichts. Ich nehme das was ich kriegen kann und bin froh darüber.

Diese ungewisse Zeit bietet wenig Platz für zukünftige Maßnahmen. Besonders ein so interaktiver Studiengang wie Schauspiel leidet darunter. Wir können froh sein, dass wir in unserem digitalisierten Zeitalter überhaupt die Möglichkeit haben, so miteinander zu kommunizieren. Vor einigen Jahren wäre das noch gar nicht möglich gewesen. Doch trotzdem hapert das Studium an vielen Stellen. Es ist nicht dasselbe. Natürlich nicht. War das Online Semester die richtige Entscheidung? Trotz den Schwierigkeiten versucht jeder etwas Positives für sich aus der Situation zu ziehen und damit umzugehen. Denn als Künstler*innen sind wir Schaffende, die auch aus Krisensituationen Neues gestalten.