Sehr geehrte Verwaltung, Mitarbeitende und Studierende der Berliner Universitäten und Hochschulen,
trotz mittlerweile 260.000 Neuinfektionen sollen die Coronamaßnahmen bald größtenteils fallen, was auch uns Studierende betreffen wird. Lehrende sprechen davon, dass die Maskenpflicht „an Orten, an denen sich vulnerable Menschen befinden“ erhalten bleibe. Gefährdete Menschen wie wir sind Teil der Gesellschaft und des öffentlichen Lebens. Wir sind mittendrin und gehören genau wie unsere gesunden Kommilton:innen an unsere Uni. Jede Infektion ist eine Gefährdung für uns.
So wie uns geht es noch weiteren Studierenden an den Universitäten und Hochschulen Berlins. Wir haben an unserer Universität Menschen mit schwerwiegenden chronischen Erkrankungen wie Mukoviszidose, Organempfänger:innen, Autoimmunerkrankte und Menschen, die an Krebs erkrankt waren oder sind. Nicht zu vergessen Studierende mit Pflegeaufgaben und Studierende, die chronisch kranke Angehörige haben.
Der Studienalltag behinderter und körperlich sowie psychisch kranker Studierender soll verbessert und es muss für die Situation betroffener Studierender sensibilisiert werden. Es fehlt an Infomaterialien wie Studierende mit schweren chronischen Erkrankungen auch trotz dem Wefgall der Schutzmaßnahmen und der für gesunde Menschen wichtigen Rückkehr in den Präsenzunterricht weiterhin eine gleichberechtigte, barrierearme universitäre Bildung ermöglicht werden kann.
Wir vermissen eine Perspektive für die kommenden Semester unter Hochinzidenzen. Schwer kranke Studierende werden vor die Wahl gestellt, gesundheitliche Gefährdung in Kauf zu nehmen oder ihr Studium unterbrechen zu müssen. Das strukturelle Problem wird auf die erkrankten Studierenden ausgelagert. Wir haben einen Mehraufwand, da wir vor dem Belegen unserer Vorlesungen und Seminare Rücksprache halten müssen, ob es für die von uns zu belegenden Veranstaltungen auch eine Onlineoption gibt. Falls nicht, haben wir Pech gehabt.
Wir müssen uns in dem Rahmen jedes Mal erneut erklären und diese eigentlich intimen Details Dozent:innen mitteilen, die uns bis dato fremd waren. Wir sind vom guten Willen der Dozierenden abhängig, eine Lösung für uns zu finden. Unser Recht auf Teilhabe und Bildung wird auf diese Weise zur freiwilligen „Hilfeleistung“. Da die Pandemie nach derzeitigem Kenntnisstand noch länger anhalten wird, hätte dies schwerwiegende Folgen für Studierende mit schweren und lebenszeitreduzierenden Erkrankungen. Wie werden die Universitäten und Hochschulen dieser Situation gerecht? Das bloße Zuschalten über Zoom über die bereits vorhandene Technik ist weder eine finanzielle Belastung, noch ein unzumutbarer Aufwand. Dieses Lehrformat ist auch eine Möglichkeit, der Heterogenität der Studierendenschaft zu begegnen.
Allein durch das bloße Bereitstellen von Ton und Folien während Vorlesungen wird eine, soweit es in dem Rahmen möglich ist, gleichberechtigte Lehre gestaltet, da alle Studierenden in dem Rahmen die Möglichkeit haben, den Lehrinhalten zu folgen und trotz den erschwerten Umständen, weniger Nachteile durch Versäumnisse zu erfahren. Das ist in sehr interaktiven Fächern im Einzelfall problematisch, aber letztendlich geht es auch darum, den Anschluss nicht zu verlieren. Eine Zuschaltung wäre daher besser als nichts.
Das Studium mit einer schweren Erkrankung bedeutet auch, allein durch deren Auswirkungen einen erheblichen Mehraufwand zu haben. Viele von uns müssen selbstdiszipliniert täglich erhebliche Teile des Tages mit medizinischen Maßnahmen verbringen. In unseren Situationen sind es u.a. das tägliche Mischen von Infusionen unter sterilen Bedingungen, ein striktes Physiotherapieprogramm, das täglich diszipliniert eingehalten werden muss, und die ständige Bereitschaft, flexibel auf plötzliche gesundheitliche Probleme zu reagieren.
Dazu kommen die Symptome der unterschiedlichen Erkrankungen, chronische Müdigkeit, organisatorischer Aufwand, regelmäßige Termine für ambulante Therapien und stationäre Behandlungen. Es ist, als müssten wir einen anstrengenden Job neben dem Studium ausüben, dabei geht es nur darum, das Privileg, gesundheitlich einigermaßen stabil zu bleiben, zu erhalten.
Bereits im vergangenen Semester mussten wir unnötige Versäumnisse im Studium durch fehlende Onlinezuschaltung auf uns nehmen und diese aufarbeiten. So kommen wir in einen belastenden Teufelskreis zwischen dem medizinisch Notwendigen und unserer akademischen Laufbahn, welcher sich bei manchen Menschen wiederum noch weiter negativ auf den Gesundheitszustand auswirken kann. Dabei wäre das mit einfachen vorhandenen Mitteln zu verhindern.
Es ist uns ein Anliegen, dass die universitäre Lehre für alle zugänglich bleibt. Daher bitten wir eindringlich, weiterhin eine Zoomübertragung von Lehrveranstaltungen für Studierende zu ermöglichen, indem Sie Dozent:innen auf Studierende mit Vorerkrankungen und deren in der Coronazeit besondere Situation hinweisen, im besten Fall verbindliche Vereinbarungen zu diesem Thema finden und eine verlässliche Perspektive für diese Personengruppe für die nächsten Semester unter Corona zu ermöglichen.
Wir sind jederzeit ansprechbar. Lassen Sie uns die Situation als Chance begreifen, um Barrierefreiheit an allen Berliner Unis und Hochschulen zu leben und eine Vorreiterrolle in der Gesellschaft einzunehmen.
Text von Marlon Schwarze + Samreen Fatima von dem AStA Uni Potsdam.
Dieser Text wurde Juli 2022 in der 96. Druckausgabe des eigenart Magazins, HYBRID REALITIES, veröffentlicht.