interview

Studieren mit Beeinträchtigung – mal sichtbar, mal nicht

Wie ist es mit einer Beeinträchtigung an der UDK zu studieren? Gibt es genügend Hilfe und wenn ja möchte man diese überhaupt annehmen? Verzichten viele vielleicht lieber auf einen Nachteilsausgleich, aus Angst vor Stigmatisierung?

Polaroids ins Nichts I.,
aus der Serie ,
Zsófia Puszt

11% der rund 2,8 Millionen Studierenden in Deutschland haben eine studienrelevante Beeinträchtigung (Befragung Sommersemester 2016/17 „beeinträchtigt studieren – best2“ durch das Deutsche Studentenwerk).  Die Erhebung wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert. Die mehr als 20.000 Befragten studieren an rund 153 Hochschulen.

Für 53% der Befragten wirkt sich ihre psychische Beeinträchtigung am stärksten auf das Studium aus, für 20% sind es chronisch–somatische Erkrankungen wie Allergien, Rheuma oder Tumorerkrankungen. Für 4% Teilleistungsstörungen, wie z.B. Legasthenie und für 3% Seh– oder Sprech–, sowie Hörbeeinträchtigungen. 

Beeinträchtigungen bleiben unsichtbar 

Nur 4 % der Studierenden sind nach eigener Einschätzung für Außenstehende auf Anhieb als Student*in mit Beeinträchtigung zu erkennen. Gut zwei Drittel der Studierenden (67 %) geben an, dass Dritte ihre Beeinträchtigungen nicht ohne Weiteres erkennen können.

Studienabbruch 

Studierende mit studienrelevanten Beeinträchtigungen unterbrechen ihr Studium mehr als doppelt so häufig wie Studierende ohne studienrelevante Beeinträchtigungen (32 % vs. 13 %). Ebenso wechseln Studierende mit studienrelevanten Beeinträchtigungen deutlich häufiger den Studiengang als Studierende ohne studienrelevante Beeinträchtigungen (31 % vs. 21 %).

Legasthenie und Depressionen

Neben körperliche Beeinträchtigung treten auch unsichtbare Krankheitsbilder wie Legasthenie oder Depressionen. 
Legasthenie beschreibt eine Lese–Rechtschreibstörung. Legasthenie entsteht durch Teilleistungsschwächen der Wahrnehmung und Motorik des zentralen Nervensystems. Betroffene haben Schwierigkeiten beim Lesen, lassen häufig Silben oder Buchstaben aus und verwechseln Wörter und Buchstaben.
Bei Depressionen werden keine positiv stimulierenden Hormone wie Serotonin, Dopamin oder Noradrenalin mehr ausgeschüttet. Die Glückshormone fördern eine positive Stimmung. Diese Botenstoffe sind aus dem Gleichgewicht geraten. Daraufhin entstehen Gefühle wie Hoffnungslosigkeit und mangelnder Antrieb. Das Thema Depression war lange Zeit tabu. Noch immer werden Depressionen oft nicht erkannt und verharmlost. Dabei sind Depressionen eine ernstzunehmende Beeinträchtigung und psychische Krankheit.  

Viele Beeinträchtigte haben Angst vor Stigmatisierung und verzichten lieber auf einen Nachteilsausgleich sowie darauf, sich zu “outen”. Wie ermöglicht man nun ein barrierefreies Studium, bei dem auch die Angst vor Stigmatisierung verringert werden kann? Behindert die Gesellschaft vielleicht das Leben von Betroffenen?

Polaroids ins Nichts VIII.,
aus der Serie,
Zsófia Puszt

Anonym, Studieren mit Legasthenie

Ich spreche nicht von einer Krankheit, sondern immer nur von Legasthenie. 

Ich habe irgendwie nie darüber nachgedacht, dass es eine Krankheit oder Beeinträchtigung ist. Ich sage einfach immer, ich habe Legasthenie.

Es fiel mir schwer.

In der sechsten Klasse, als ich nach Berlin gezogen bin, wurde ich darauf getestet. Ich war da elf oder zwölf Jahre alt. In diesem Alter hatte ich auch das erste Mal Deutschunterricht. Ich war vorher nur auf englischsprachigen Schulen und habe auch nur in englischesprachigen Ländern gelebt. Ich lese sehr viel und sehr gerne, aber meine Lehrer[*innen] haben schnell gemerkt, dass es mir schwerfiel, wenn ich schnell und laut lesen musste. Auch durch meine Rechtschreibung oder meine Aussprache hatten sie dann schnell den Verdacht auf Legasthenie. Da ich vorher nur in Amerika gelebt habe, fiel es mir besonders im Deutschen nochmal schwerer. Ich glaube aber, dass meine Legasthenie nicht so stark ausgeprägt ist wie bei anderen. Ich kann die Wörter einigermaßen lesen. Es sind eher einzelne Buchstaben, die ich vertausche. Es ist trotzdem spürbar, aber andere Betroffene haben Legasthenie wahrscheinlich stärker ausgeprägt. 

Im Abitur wird nicht auf Legasthenie geachtet.

Jede zwei Jahre musste ich dann einen Test machen. Ich musste insgesamt drei Tests machen. In der sechsten, achten und zehnten Klasse. Die Schule wollte damit überprüfen, ob man wirklich Legasthenie hat, da man immer mehr Zeit für die Klausuren bekommen hat. Deswegen wollte die Schule sich natürlich vergewissern, dass man wirklich Legasthenie hat und nicht vielleicht einfach nur Probleme mit der Sprache hat, dadurch dass man nicht Deutsch–Muttersprachler ist. Während meiner Abi–Phase hatte ich dann auch Legasthenie–Nachhilfe. Meine Mutter fand es sehr wichtig, dass ich das mache, denn beim Abitur wird auf Legasthenie nicht geachtet. Da hat man dann Pech gehabt. Deswegen habe ich dann ein Training gemacht, bei dem man lernen kann, die Probleme auszugleichen und Tipps bekommen, wie man damit umgehen kann. Dennoch bleibt es für das Leben. Man müsste eigentlich konstant üben, damit Legasthenie nicht auffällt. 

Ich wollte definitiv studieren.

Als ich mich für den Studiengang bewarb, habe ich gar nicht daran gedacht, dass ich Legasthenie habe. Ich glaube dadurch, dass ich es eben habe, denke ich nicht so viel darüber nach, denn für mich ist es so normal. Meine einzige Sorge nach der Prüfung war, dass ich wegen meiner Rechtschreibung durchfalle. Für mich ist es zum Beispiel sehr schwer, das Wort „Geschichte“ zu schreiben. Ich schreibe häufig „Gesichte“ (lacht). Das habe ich glaube ich sehr häufig in der Klausur gemacht. Ich dachte mir nur: Oh nein, was werden die Professor[*inn]en jetzt denken. Aber solche Gedanken kamen dann eben erst im Nachhinein auf. Nach der Klausur habe ich nur an meine Rechtschreibung denken können. Aber davor hatte ich keine Bedenken. Ich wusste, ich will definitiv studieren. Der Studiengang Gesellschafts–und Wirtschaftskommunikation an der Udk war auch meine Top–Wahl. Alle Freunde von mir fanden das auch super. Aber auch wenn sie es merkwürdig gefunden hätten, hätte ich mich trotzdem beworben. 

Mit neuen Leuten zu sprechen ist eine Herausforderung.

Beim Lesen bemerke ich meine Legasthenie nicht so sehr. Eher beim Laut–Lesen, Sprechen oder Schreiben. Auch meine Freund[*innen] und Familie sind gewöhnt daran, dass ich manchmal Dinge falsch ausspreche. Deswegen fällt mir das persönlich auch einfach nicht so sehr auf, dass ich Legasthenie habe. Das merke ich dann eher, wenn ich auf neue Leute treffe. Dann baut sich immer so ein Druck auf, die Wörter richtig auszusprechen. Das finde ich dann manchmal richtig schwer, weil ich dann nicht weiß, wie ich reden soll.  Aber in meinem alltäglichen Leben ist es jetzt keine Beeinträchtigung, die ich als Benachteiligung wahrnehme.

Die Praxis der Udk macht es für mich leichter.

Besonders das praxisorientierte Arbeiten an der UdK macht es für mich leichter. Es gibt keinen großen Leistungsdruck, wie er an anderen Unis existiert. Es geht auch eher darum, zum Beispiel etwas Kreatives zu schreiben. Wenn ich über etwas schreiben kann, was mir Spaß macht, fällt es mir auch leichter, mich selber zu korrigieren. Das Schreiben ist eher natürlicher. Längere und vor allen Dingen dann deutsche Texte zu lesen, das fiel mir dann schon schwerer. Ich habe super lange gebraucht, einige Texte zu lesen und habe dann auch häufig richtig Kopfschmerzen bekommen, weil ich mich so stark konzentrieren musste.

Mir wäre es am liebsten, wenn ich einfach nicht Thema bin.

Manchmal ist es mir lieber, dass Leute wissen, dass ich Legasthenie habe. Wenn ich mich dann verspreche oder nicht Laut–Lesen kann, wissen die anderen, dass es meine Legasthenie ist und können das dann verstehen. Aber manchmal wünsche ich mir auch, dass keiner es weiß. Ich kann dann so tun als hätte ich es nicht und bin einfach normal. Dennoch ist es einfacher, wenn die Leute es wissen. Die Erwartungshaltung ist dann ganz anders. Einmal musste ich auch etwas laut vorlesen und es hat nicht so gut funktioniert. Dann habe ich auch gesagt, dass ich Legasthenie habe. Ich glaube, wenn der Professor das vorher gewusst hätte, hätte man diese unangenehme Situationen vermeiden können. Mir wäre es am liebsten, wenn ich einfach nicht Thema bin. Es sollte akzeptiert werden, wenn ich etwas lesen möchte, aber auch, wenn nicht. Wenn ich sage, ich kann’s gerade nicht lesen wegen Legasthenie, dass das dann akzeptiert wird. Aber auch im Umkehrschluss, wenn ich sage, ich kann’s und es probieren möchte, etwas zu lesen. Ich will nicht von vornherein ausgeschlossen werden. 

Polaroids ins Nichts XIII.,
aus der Serie,
Zsófia Puszt
Man muss sich nur überwinden.

An dem ersten Tag von der Uni hatte ich super Angst, eine Konversation mit den neuen Leuten zu führen und dass sie meine Legasthenie bemerken. Ich war dann total nervös. Man macht sich selber Druck, indem man denkt: Ich muss gut klingen und die Wörter richtig aussprechen. Aber dadurch wird es dann nur noch schlimmer.  Ich hatte die ganze Zeit diesen Alarmgedanken im Hinterkopf: Sag nichts Falsches. Sprich nichts falsch aus.  Ich habe zwar eine Weile gebraucht, bis ich mich wohl genug gefühlt habe, habe aber dann auch mit einigen Leuten geredet und es war voll okay. Es war einfach dieser innerliche Druck, der in einem aufgestiegen ist. Wenn ich eine neue Gruppe von Leuten treffe, treten diese Gedanken unvermeidlich in meinem Kopf auf. Aber eigentlich kann man es ja. Man muss sich nur überwinden.

“Viele haben Angst vor Stigmatisierung und outen sich lieber nicht. Es muss eine Offenheit und ein Klima geschaffen werden!”

– Marion Arnold, Leiterin der Studienberatung und Beauftragte für Studierende mit Behinderung und chronischen Erkrankungen.

Wer nutzt Ihr Beratungsangebot? 

Das ist eine ziemlich gemischte Gruppe. Studieninteressierte, die im Vorfeld anrufen. Zum Teil auch deren Eltern, Freunde oder Unterstützer*innen, zum Beispiel Betreuer*innen. Aber eben auch Studierende, die schon hier bei uns studieren und manchmal auch Lehrende bis hin zu Veranstaltungsbesucher*innen. 

Können Sie von einer bestimmten Veranstaltung erzählen, bei der Sie kontaktiert wurden? 

Ein Besucher mit Rollstuhl wollte abends zu einer Veranstaltung in der Hardenbergstraße. Ich dachte dann das ist doch wunderbar, denn in diesem Gebäude ist ja ein Treppenlift. Nur leider war niemand da, um den Aufzug zu bedienen. Das war natürlich etwas doof. Ich konnte die Angelegenheit zum Glück noch regeln.

Mit welcher Frage wenden sich die Studierenden besonders häufig an Sie?

Studieninteressierte fragen zunächst erstmal nach einer Quote. An anderen wissenschaftlichen Unis gibt es ja immer eine Quote für Studierende mit Beeinträchtigung. Dadurch sind sie es gewohnt, eine Direkt-Zulassung bekommen zu können. Das ist bei uns nicht der Fall. An der Udk muss jeder die Zugangsprüfung absolvieren. Viele melden sich dann gar nicht mehr, wenn ich schreibe, dass wir so eine Quote nicht haben. Andere greifen jedoch auch gleich zum Hörer, wenn ich sie auf den Nachteilsausgleich aufmerksam mache. Zuweilen kann ich da auch rechtzeitig mit den Fakultäten und der Studiengangsleitung in Kontakt treten. Außerdem ist es wichtig, manchmal nochmal nachzuhaken und auf die Personen einzugehen. Viele kommen erstmal nur mit einer kurzen Frage. Da merke ich dann aber, dass da noch mehr dahinter steckt. Und dann versuche ich herauszufinden, was denn eigentlich los ist. Wenn ich merke, dass da Ängste dahinter stecken, dann frage ich häufig nochmal nach. Aber ich kann niemanden zu etwas zwingen. Ich mache dann häufig darauf aufmerksam, dass sie mich jederzeit anrufen können und gebe ihnen meine Karte, also meine Telefonnummer. Ich gebe Anstöße und biete Hilfe an, ob die Person das dann in Anspruch nehmen möchte, ist ihr überlassen. 

Was wäre denn ein möglicher Nachteilsausgleich?

Wenn eine Person einfach länger Zeit braucht, um bestimmte Texte zu erfassen, wie zum Beispiel bei Teilleistungsstörungen, Legasthenie oder Lese-Rechtschreibschwächen, dort muss man dann einen Zeitausgleich schaffen.Wenn es jetzt aber um eine Person mit einer körperlichen Behinderung geht, dann muss sichergestellt werden, dass die entsprechenden Mittel zur Verfügung stehen. Letztens hatte ich einen Fall, wo die Noten in einer bestimmten Vergrößerung vorliegen mussten. 

Geht das so einfach auf die Schnelle?

Vieles lässt sich umsetzen und organisieren, aber es muss eben rechtzeitig Kontakt aufgenommen werden. Damit ich dann auch weiß, worum es geht, und helfen kann. Viele möchten aber auch selber direkt Kontakt zur Studienleitung aufnehmen. Einige fragen auch, ob sie überhaupt eine Chance haben und der Studiengang offen für ihre Beeinträchtigung ist.

Haben Studieninteressierte mit Beeinträchtigung denn bei Studiengängen wie Tanz oder Schauspiel überhaupt eine realistische Chance?

Gerade bei Tanz herrscht eine große Offenheit! Ich habe eben gerade mit Herrn Haffner vom HZT telefoniert und die Informationen angepasst. Es gibt beim HZT eine Person, die als Ansprechpartner fungiert. Das ist sehr toll. Herr Haffner hat auch darauf bestanden, dass das in den Bewerbungsinfos aufgeführt wird. Ich habe jetzt auch die erste Person schon dahin verwiesen. Tanz ist auf jeden Fall aufgeschlossen, ob es jetzt um eine*n Rollstuhlfahrer*in oder Autismus geht.

Würden Sie allen Beeinträchtigten raten, sich zu „outen“? Und wenn ja, warum?

Da würde ich immer sagen, dass es auf die Person drauf ankommt. Die Person muss es wollen. Wenn es jemand ist, der offen damit umgeht, dann ist es vielleicht der richtig Weg. Es ist aber immer die Entscheidung des Einzelnen. Viele haben Angst vor Stigmatisierung und „outen“ sich lieber nicht. Dabei verzichten sie sogar manchmal auf den Nachteilsausgleich und sagen mir dann, dass sie es erstmal so probieren wollen. Ohne irgendeine Hilfe. Viele wollen nicht so wahrgenommen werden. Wenn jemand auf den Nachteilsausgleich verzichten möchte, dann ist das von mir sowie von den Eltern zu akzeptieren. Es geht immer um die Person. Aber wenn sie dann tatsächlich an Grenzen stoßen, ist es völlig legitim, mich anzusprechen und Hilfe zu äußern. 

Was ist Ihnen wichtig, wenn Sie Beeinträchtigten helfen?

Man muss in den persönlichen Kontakt gehen und individuell mit jeder Person kommunizieren. Mir selber ist es lieber, wenn ich die Person sehen und nicht nur per Telefon antworten kann. Dabei sollte man eben auch auf die Einordnung achten. Wer sich als beeinträchtigt fühlt, wer nicht, wer Angst hat vor Stigmatisierung – das sind alles Dinge, auf die man Acht geben muss. Die Personen sind immer Expert[*inn]en in eigener Sache. Das sollte man nicht vergessen. Die Frage ist, was jetzt gerade für die Person das Beste ist. Und das erfährt man nur, wenn man nicht nur der eigenen Meinung Platz gibt, sondern erstmal der Person zuhört. 

Glauben Sie, dass das praxisorientierte Arbeiten an der Udk den Beeinträchtigten weiterhilft oder das Studium eher erschwert? 

Ich glaube sowohl als auch. Für viele ist das praxisorientierte Studium eine große Chance, weil sie sich anders ausdrücken können als vielleicht in der Schulzeit. Zum Beispiel bei Autismus könnte das eine Rolle spielen.

Denken Sie, dass der Bewerbungsprozess viele abschreckt?

Es kann. Das ist vermutlich unterschiedlich. Aber für mich gehört auch immer eine Offenheit und eine Kultur an der Hochschule dazu. Das finde ich auch an dem Studiengang Tanz sehr positiv. Dort gibt es jetzt eine Person, einen Ansprechpartner, an den sich andere Leute wenden können. Ich habe aber auch gemerkt, dass bei Personen, die bislang wenig oder gar nicht mit Thema in Berührung gekommen sind, noch keine Offenheit herrscht. Und da muss man dann erstmal anfangen, diese Offenheit zu erzeugen und sich darauf einzulassen. 

Wurden denn schon Aktivitäten unternommen, um ein Bewusstsein für eine solche wünschenswerte Hochschulkultur zu schaffen?

An der Fakultät Bildende Kunst gab es mal eine Studentin, die eine Gruppe ins Leben gerufen hat. Leider hat das nicht so gut funktioniert, wie sie gehofft hatte. Ich habe ein paar Leute, zu denen ich Kontakt hatte, darauf hingewiesen. Als ich dann nochmal nachgefragt habe, sagte sie mir, dass das mit der Gruppe gar nicht geklappt hat. Da ging es auch um psychische Beeinträchtigungen und an den Reaktionen, die ich bekommen habe, habe ich gemerkt, dass viele das gar nicht so wollten. Trotzdem wäre so ein Netzwerk oder eben eine Ansprechperson, wie wir sie jetzt im HZT haben, toll. Ein Netzwerk, das übergreifend mit anderen Universitäten wie der FU oder HU ist, würde auch weitere Kontakte ermöglichen. 

Gibt es einen bestimmten Grund, warum Sie die Arbeit gerne machen?

Ich bin der Meinung, dass in unserer Gesellschaft eine Teilhabe und ein selbstbestimmtes barrierefreies Studium möglich sein sollten. Das geht sogar über die Uni hinaus. Auch ein selbstbestimmtes Leben sollte möglich sein. Personen mit einer Behinderung müssen studieren können. Dazu möchte ich gerne beitragen. Deswegen ist es wichtig, dass es solche Beauftragten an den Universitäten gibt, die sich dafür einsetzen. Das geht jedoch weit über meine Person hinaus. Ich würde es unglaublich schön finden, wenn es an der ganzen Universität ein positives Klima und eine Offenheit geben würde. Und dass alle zu diesem Klima beitragen. Angefangen bei der Hochschulleitung, über die Lehrenden und sonstigen Mitarbeiter*innen bis hin zu den Studierenden. Es ist wichtig, dass sich die Studierenden mit Beeinträchtigung angenommen und willkommen fühlen und wissen, dass sie nicht alleine dastehen und es Personen gibt, die sich mit einsetzen. Das ist eine enorm wichtige Sache. 

Um Chancengleichheit zu ermöglichen, sollte also eben auch ein positives Klima geschaffen werden?

Ja, genau. Über eine Barrierefreiheit hinaus sollte man eben auch ein Klima schaffen. Herr Haffner vom HZT hat in diesem Sinne auch das Projekt „Make a Difference“ angestoßen. 

Merken Sie einen Unterschied im Umgang mit psychischen und körperlichen Beeinträchtigungen?

Ich habe das Gefühl, dass körperliche Beeinträchtigungen in unserer Gesellschaft mehr akzeptiert werden als psychische. Körperliche Behinderungen sind etwas handfestes, das kann man sehen, das bekommt jeder mit, das ist so. Das ist eine Krankheit. Aber psychische Beeinträchtigungen, die genauso eine Krankheit sind, die Seele kann eben auch krank sein, da wird anders mit umgegangen. Dabei sind viele Leute dafür dann auch schon wieder offen. Manchmal ist es ja auch nur die Befürchtung, dass die anderen nicht offen sind und die Angst vor dem Outen. Aber viele können es dann doch nachvollziehen und geben eine positive Resonanz, indem sie dann bei den Prüfungen und co. mit sich reden lassen. Man muss sich auch bei psychischen Beeinträchtigungen wagen, etwas in Anspruch zu nehmen. 

Die Hardenbergstraße 41, die Fakultät Musik, ist nicht barrierefrei. Warum wird das nicht geändert? 

Das habe ich direkt zum Anlass genommen, da mal nachzuhaken. Zu meiner Freude habe ich dabei erfahren, dass es in der Fasanenstraße 1b mittlerweile einen Aufzug gibt. Das war nämlich lange Zeit nicht so. Ich habe einmal erlebt, dass ein Dozierender mit Schwerbehinderung von seiner Frau mit einem Hilfsmittel die Treppen hochgetragen wurde. Und das kann ja eigentlich nicht wahr sein. In der 41 kann ich nicht hundertprozentig sagen, warum das nicht barrierefrei ist. Ich denke, es spielt der Denkmalschutz eine Rolle, sowie wahrscheinlich die Nachfrage. Da müsste man auch mal genauer hinschauen, was da eigentlich möglich wäre. Aber da habe ich jetzt auch mal die Hochschulleitung kontaktiert.

Darüber hinaus wäre es auch wichtig, mit bestimmten Betroffenen wie zum Beispiel Rollstuhlfahrer[*inne]n tatsächlich mal die unterschiedlichen Fakultäten entlangzufahren und dann mal zu schauen, ob das wirklich barrierefrei ist. Viele Dinge vergisst man auch häufig aus unserer Perspektive. Es gibt ja unterschiedlich hohe oder breite Rollstühle. Das Studierendenwerk hat so ein Experiment mal gemacht. Man selber geht eben mit anderen Augen da durch als wenn man zum Beispiel im Rollstuhl sitzt und einen bestimmten Wendekreis braucht oder bestimmte Durchgänge. Die Leute wissen eigentlich am besten, was gut für sie ist. Wie gesagt, sie sind Expert[*inn]en in eigener Sache. Wir können nicht sagen, was für Behinderte das Richtige ist. Ich kann es gar nicht so gut wissen. Ich kann meine Vorstellung dazu haben und Anstöße geben, aber ich habe schon ein paar Mal festgestellt, dass meine Vorstellung sich unterscheidet. Es hängt immer individuell von der Person ab.

Polaroids ins Nichts XVI.,
aus der Serie,
Zsófia Puszt

Anonym, Studieren mit Depressionen

Es ist ein schleichender Prozess

Es gab keinen bestimmten Auslöser. Es kam sehr schleichend, dass man es immer im Hinterkopf gespürt hat, aber noch nicht so genau wusste, was es ist. Deswegen gibt es glaub ich nicht nur einen Faktor, sondern viele verschiedene. Ich habe zu dem Zeitpunkt eine Reise in ein fremdes Land gemacht, bei der ich niemanden kannte, und war mehrere Monate nicht in meiner Heimat. Im Nachhinein habe ich auch herausgefunden, dass es mit den Genen zu tun hat und veranlagt ist. Meine Uroma hatte auch damit zu tun. Vor der Reise habe ich mein Abitur gemacht und war anschließend im sozialen Bereich tätig. Ich habe aber nie mal angehalten und mir Gedanken gemacht, was ich eigentlich möchte und wer ich eigentlich bin. Mein ganzer Alltag war getaktet und es ging immer weiter und weiter. Ich glaube, dieser Stress war ein zusätzlicher Faktor. Ich glaube, es hatte viel mit meiner Selbstfindungsphase zu tun.

Man setzt eine Maske auf

Dadurch dass ich eher extrovertiert bin, hatte ich am ersten Tag der Uni keine Angst oder Befürchtungen, mit anderen Leuten in Kontakt zu treten. Deswegen konnten es viele auch nicht sehen. Trotzdem verdrängt man es in diesem Moment und setzt ein Schauspiel-Gesicht auf. Dadurch erkennt man die Krankheit nicht direkt. Vielleicht ging es einem am Tag davor mega schlecht, man kam nicht aus dem Bett und hat nur geweint und trotzdem rafft man sich dann auf und nimmt seine Restenergie, um aufzustehen, und setzt eine Maske auf. Das heißt nicht, dass man die Leute verarscht. Man zeigt ihnen eben nur einen Teil von sich. Man gibt sich zum Beispiel als lustig und verdrängt es dann selber für diesen Moment. Das kostet halt sehr viel Energie. Wenn man dann wieder zu sich kommt und in sich geht, dann geht es einem häufig noch schlechter. Ich habe es dann in der Universität einfach verdrängt. Ich habe auch öfters schon von Freunden gehört, dass sie sich von mir verarscht gefühlt haben und meinten, dass ich eben nur eine Maske aufsetzten würde und gar nicht mehr ich selbst sei. Aber das passiert eben auch unbewusst und nur zum Selbstschutz, da man ja nicht der ganzen Welt zeigen will, wie es einem geht. Das passiert automatisch. Ich war teilweise auch körperlich so fertig, dass ich gar nicht mehr die Treppen bis zum Hausflur hochgekommen bin. Ich war komplett ausgelaugt. Man ist wirklich fix und fertig. 

Polaroids ins Nichts XVIII.,
aus der Serie,
Zsófia Puszt
Man kann es auch mit einer starken Grippe vergleichen

Am Anfang der Uni bin ich auch noch aus dem Bett gekommen. Mein Energiespeicher hat noch gereicht. Ich habe die Aufgaben noch gemacht und mir selber war auch noch nicht bewusst, dass ich psychisch krank bin. Aber irgendwann war das nicht mehr so und ich konnte dann auch nicht mehr zur Uni gehen. Meine Ressourcen waren aufgebraucht. Es gab keinen Grund, der mich hätte aufstehen lassen. Ich hatte auch keinen Appetit. Ich war zu schwach um aufzustehen, nur zum auf Toilette gehen vielleicht. Man kann es auch mit einer starken Grippe vergleichen. Man ist wirklich einfach krank und liegt im Bett. In solchen Momenten motiviert dich gar nichts um aufzustehen. Ich konnte auch keine kreativen Aufgaben von der Uni erledigen und sich zu konzentrieren ist auch schwer. Ich habe mich dumm gefühlt, weil ich nichts gedacht habe und nur negative Gedankenkreise hatte, die sich immer wiederholt haben. Da war dann gar kein Platz für andere Gedanken. Wenn ich das Studium weiter durchgezogen hätte, dann hätte es wahrscheinlich auch keinen Sinn gemacht, weil ich nicht voll da gewesen wäre. 

Ich habe nicht mehr weiterstudiert

Von der Reise ging es direkt ins Studium und ich glaube, ich war am Anfang einfach noch sehr stark in diesem Arbeitsmodus gefangen, da ich das Studium unbedingt durchziehen wollte. Ich habe gar nicht gemerkt, wie schlecht es mir ging. Ich habe nur gearbeitet, bis es irgendwann nicht mehr ging. Da war dann der Cut. Dann war mir alles zu viel. Jedes einzelne Geräusch und jede Interaktion. Und dann stapelten sich auch die Aufgaben von der Uni. Es wurde immer mehr. Viele Leute aus Gruppenarbeiten haben mir dann auch dauernd geschrieben und Druck gemacht. Deswegen ging es einfach nicht mehr und ich habe nicht mehr weiterstudiert. Ich stelle es mir sehr schwer vor für Leute, die mit Depressionen studieren. 

Ich kann mir vorstellen, wieder zu studieren

Jetzt geht es mir besser und ich kann mir vorstellen, wieder zu studieren. Ich bin gerade tatsächlich auch in Kontakt mit einem Professor und dem Immatrikulations- und Prüfungsamt, ob ich wieder einsteigen kann. Ich musste mich damals auch exmatrikulieren und konnte keine Pause einlegen.

Ich habe mich im Stich gelassen gefühlt

Ich habe mich dann auch gefragt, ob überhaupt Rücksicht auf Leute mit psychischen Beeinträchtigungen genommen wird. Muss man einfach weiterstudieren, wenn zum Beispiel die Mutter stirbt? Wie soll das gehen? Man darf vor dem dritten Semester nur bei Schwangerschaft eine Pause machen. Wenn man Depressionen oder psychische Beeinträchtigungen hat, dann muss man sich exmatrikulieren. Das könnte etwas verbessert werden. Wenn man etwas vorweisen kann, zum Beispiel vom Therapeuten, dass man dann aussteigen und wieder einsteigen kann. Da habe ich mich etwas im Stich gelassen gefühlt. Ich musste mich bis zum Ende des Semesters dann exmatrikulieren. Ich hätte gerne ein Jahr Pause gemacht, aber das ging nicht. Ich habe aber auch nicht eindeutig gesagt, was ich habe. Das habe ich mich nicht getraut. Ich habe es nur angedeutet.