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Nie sind wir satt.
Die befahrene Luft
Die Autos haben den Luftraum erobert. Der Himmel ist nun eine Schicht aus dichten, grauen Rauchschwaden, die sich an der Wolkendecke breit machen. Ab und an blitzt ein heller Scheinwerfer oder der silberne Spiegel eines Metallbroken hervor, der auf der Luftbahn seine Runden zieht.
In 12 000 Meter Höhe (oder auch 12. 500 Metern, ich kann es nicht richtig einschätzen) tummeln sich Autos auf den in der Luft bebauten Straßen, Brücken und Kreisverkehren. Man hört Fahrer und Fahrerinnen, die ihre Hupen aufschreien lassen und sich gegenseitig anmotzen: „Fahren Sie schneller! Wegen Ihnen dauert das ja fast genau so lange wie unten auf dem Boden!“
Mit „Unten“ ist die normale Autobahn gemeint, die aber nun kaum noch einer benutzt, abgesehen von LKW–Fahrern und größeren Lastern. Die benötigen den Raum. Seit die Luft befahrbar wurde, kreisen die Pkws hier umher und öffnen ihre riesigen, neu eingebauten Fenster, um kühle Luft herein zu lassen. Auch ich atme tief ein. Der sanfte und kalte Wind zieht durch meine Nase in meine Lungen und ich lehne den Kopf zurück, drücke meinen Rücken in den Sitz und spüre wie das kühle und erfrischende Gefühl meinen Körper durchströmt. Ich schätze dies ist einer der Gründe warum die meisten Leute die Autoluft nutzen. Um die kühle Luft einzuatmen, die jedoch schon langsam immer dreckiger wird. Bald wird der Himmel ganz in Grau gehüllt sein. Doch einwenig eben erleichtert es einen, hier zu atmen. Unten ist es einfach zu stickig und drückend. Nirgends atmet man noch frische Luft ein, sondern lediglich den Geruch von stinkendem Abfall und Kadaver, der einem wie ein Stück feinste Torte ins Gesicht gerieben wird und aus den Müllsäcken strömt, die an jeder Straßenecke stehen.
Jede Fahrbahn hier oben wurde auf dicke, graue Stelzen aufgebaut und besitzt zum Schutze der Gemeinschaft anstatt einer Leitplanke eine fette Mauer, vor die nochmal ein Zaun gequetscht wurde. Größerer Verbrauch aber doppelter Schutz, versteht sich. Die Leute können ja nicht auf sich alleine aufpassen.
Aufeinmal halten wir abrupt an und ich mache einen Hopser in meinem Sitz.
„Was war das? Wieso halten wir an?“
„Ach, nur ein unerwarteter Blitzer. Ich hatte ihn nicht gesehen, aber das Navigationsgerät hat mich gewarnt. Jetzt kann ich wieder an Tempo zulegen“, sagt mein Vater grinsend und schaut sich kurz zu mir um.
Schnell öffne ich meine linke Hand, um zu sehen ob meine Samen noch da sind. Ich möchte gerne einen Kirschbaum pflanzen. Eins, zwei, drei, vier, fünf, zähle ich. Ein Samen muss wohl unter den Autositz gefallen sein. Ich schließe meine Hand vorsichtig, denn ich will nicht noch einen verlieren.
Ich lehne meinen Kopf zur Seite und schaue nach rechts durch die riesige Scheibe, die den gesamten Bereich der Tür einnimmt. Ein Regentropfen klatscht auf das Glas. Bei genauerer Betrachtung erkenne ich jedoch das es sich um Benzin, von dem Auto eine Fahrbahn über uns, handelt. Schade, denke ich. Ich mag Regen. Am Horizont, noch über der Mauer die als Leitplankewand dient, kann ich einige Hochhäuser mit so großen Reklameschildern erkennen, dass sie auch aus dieser Entfernung lesbar sind.
Zalando. Mehr ist geil. Ist Perfektion.

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Das so etwas als Werbung durchgeht ist schon erstaunlich. Ich starre weiter auf den orangenen Schriftzug, dessen Farbe in meinen Augen brennt. Doch ich kann den Blick nicht davon wenden. Mehr zu haben ist manchmal ja vielleicht schon vorteilhaft. Aber dann auf der anderen Seite schüttel ich wieder den Kopf und will nur noch das es regnet, denn diese Welt macht mich traurig. Meine Freunde sagen manchmal ich sei zu melancholisch, zu mürrisch oder zu pessimistisch. Manchmal möchte ich mich dem ganze Konsumquatsch einfach nicht hingeben. Ich halte eben strikt dagegen. Meine Freunde meinen jedoch man muss manchmal einfach Sachen machen und sich dem Leben hingeben. Soll ich dann etwa in den Zoo gehen, und diese mir doch sehr fragwürdig erscheinende Konstruktion unterstützen? Ich muss an ein Gespräch mit meinen zwei Freundinnen zurück denken. Beide behaupteten schon jetzt, dass sie später einmal unbedingt Botox haben wollten.
„Also diese Falten dann hier oben, die will ich dann schon weg haben“, meinte die eine mal. In solchen Gesprächen blieb ich immer stumm, denn die Absurdität in einem solchen Moment war für mein kleines Herz zu groß. Es war schlimm mit anzuhören, wie meine junge Freundin schon jetzt wusste, dass sie später einmal unbedingt einem Schönheitsideal entsprechen wollte, dass die Menschheit selber in die Welt gesetzt hatte. Was war denn so schlimm an Falten? Sahen die so übel aus? Wieso musste man sich jung halten, wenn man doch diesem Alter entsprach? Wieso wollte man diese erzwungene Perfektion? Zum Glück würde ich nicht zu einem Botoxhässchen werden, so viel stand mal fest.
Natürlich ist es auch normal, dass wir nach Perfektion, nach Schönheit und Ästhetik streben. Irgendwie ist das ja auch ein menschlicher Trieb. Man möchte immer, dass alles perfekt, vollständig und beendet ist und nicht unfertig oder unvollständig. Man selber möchte ja irgendwie auch als etwas Ganzes, vollständiges und als ein insgesamt passendes Wesen gesehen werden. Und das geben uns Konsumgüter. Aber streben wir zur Perfektion, weil es uns so vorgelebt wird oder weil es unsere Natur ist? Vielleicht Beides. Wenn nie jemand diese Konsumgüter erschaffen hätte, würden wir dann überhaupt gut riechen wollen, nach einem Duft der uns gefällt? Im Falle des Vorlebens würde es allerdings auch reichlich Sinn ergeben, da man nur für eine perfekte Arbeit eine 1+ erhält, nur für ein perfektes Aussehen ein Kompliment und nur durch Perfektion im Leben vermeintlich voranschreitet. Und an dieser Stelle gibt uns der Konsum, geben uns materielle Dinge genau diese Möglichkeit zur Perfektion und zu einer kurzfristigen Befriedigung unseres Streben nach Perfektion. Je mehr man sich kaufen kann, desto perfekter kann man sein.
Ich hörte plötzlich meinen Vater vorne summen, drehte mich zum linken Fenster und sah wie ein Typ in seinem neusten Tesla Model X vorbei sauste. Hinter ihm folgte ihm ein Auto mit dem lautesten Auspuff denn ich je gehört hatte. Er kurbelte sein Fenster herunter und ich konnte den mit Armbändern und Klunker besetzten Arm erkennen. Er hatte Viel. Und fand sich geil. Er schoss vorbei und brauste die nächste Ausfahrt runter. Wir mit unserem kleinen BMW kamen da nicht schnell hinter her. Aber ich mochte unser Tempo. Ich hoffte immer, dass ich hier oben ein paar Vögel zwitschern hörte oder fliegen sah. Doch vergeblich. Kein Vogel in Sicht. Mein Vater hatte mir erzählt, dass sie früher überall gewesen seien. Sogar Unten auf dem Boden. Doch jetzt seien sie wahrscheinlich ausgestorben oder hatten sich andere Brutplätze gesucht. Aber wo, das wusste niemand.
Ich schaute über die beiden Sitze nach vorne durch die Windschutzscheibe. Auf den drei Fahrbahnen schlängelten sich die Autos hindurch und gaben so viel Gas wie sie nur konnten. Gefangen wie die Insekten in ihrem eigenen Netz versuchten die Autos die anderen zu überholen, sich Platz und Vorteil zu verschaffen. An den Seiten erblickte ich die hohen, grauen Mauern und fragte mich, was wohl wäre, wenn sie nicht dort ständen. Könnte man Baumkronen und Spitzen von saftig grünen Bäumen sehen? Wahrscheinlich schon.

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„Schon die Ausfahrt?“, murmelte ich als mein Vater die Abzweigung nahm.
„Ich fahre noch kurz in die Mall.“
„Na, gut.“
Ich stieg mit aus und behielt meine Samen in meiner Hand. Ich wollte anbauen, Saat streuen und Leben erschaffen. Etwas eigenes Grünes erschaffen. Vielleicht wollte ich aber auch einfach nur etwas eigenes haben. Etwas das mir gehört.
Mit schnellen Schritten folgte ich meinem Vater und lief durch die durchsichtige Eingangstür.
Vor mir strömten Menschen mit riesigen Einkauftüten in alle Richtungen und stießen sich dabei ab und an versehentlich an.
„Warte hier , sagte mein Vater, ich bin gleich zurück.“
Mit einer Bewegung war er in der Menge verschwunden.
Ich überschlug meine Arme und lehnte mich schräg an die Wand. Ich hasste warten. Nie musste man heute noch warten. Warten war das Schlimmste. Also beschloss ich in den Laden gegenüber zu gehen. Gallery, stand auf dem Schild Draußen. Das war wohl der Name.
Ich setzte meinen Fuß über die Schwelle und zog ihn wieder zurück. Wollte ich wirklich in diesen Laden? Ich erblickte hunderte von kleinen Ständen mit silber funkelndem Schmuck, mit Parfüm Richtungen jeder Art, Ketten und Ringen. Weiter hinten gab es Lippenstifte in allen nur erdenklichen Farben. Natürlich kannte ich das schon. Doch trotzdem faszinierte es mich. Das Geschäft strahlte eine Reinheit, pure Eleganz und Schönheit aus von der man Teil sein wollte.
Ich wollte schon wieder umkehren als ich von einer kleineren Verkäuferin aus meinen Gedanken gerissen wurde: „Kommen Sie doch rein! Suchen Sie etwas bestimmtes?“
Ich zögerte.
Und zögerte.
Sie schaute mich fragend an. Ich fuhr mir mit der Hand über die Schläfe, rümpfte die Nase und neigte den Kopf nach rechts.
„mmmhh…“, murmelte ich.
Ich strich mir mein Haar hinter mein Ohr.
„Ach, nein danke!“ sagte ich dann schließlich und machte auf dem Absatz kehrt.
Auch wenn ich mir treu geblieben war, wurde der Drang in mir jetzt etwas zu kaufen immer größer. Ich wusste, ich musste mich jetzt sättigen. Ich wollte jetzt etwas. Ich konnte nicht noch länger auf meinen Kirschbaum warten. Geduld war halt eben nicht meine Stärke. Vielleicht konnte ich mir ja einfach auch direkt einen fertigen Kirschbaum kaufen. Das ging ja auch. Ging ja alles. War ja cool. Cooles Leben.