interview

„Wenn jemand anfängt oder weitermacht, warum nicht wir?“

Katharina Lüdin studiert Kunst und Medien / Narrativer Film an der UdK. Sie ist seit 2019 gewähltes Mitglied im Studierendenparlament (StuPa) und engagiert sich im Ausschuss für Soziales und Gleichstellung. Im Gespräch mit Christine Reiß, AStA-Referentin für studentische Beschäftigte, spricht sie über ihre hochschulpolitische Arbeit.

Katharina Lüdin, STuPa-Mitglied

„Wenn eine Institution bedroht wird, betrifft es uns alle. Ihr steht nicht alleine. Wir sind mehr, wir sind eben viele.“

Christine Reiß (AStA): In der 152. Sitzung des Fakultätsrates Gestaltung wurde heute Nachmittag auf deinen Antrag hin beschlossen, die Erklärung der Vielen zu unterstützen. Du setzt dich innerhalb der UdK für die Unterstützung dieser Petition ein. Kannst du für die Studierenden skizzieren, worum es geht? 

Katharina Lüdin (StuPa): Die Erklärung der Vielen ist eine Art Manifest. Der Verein DIE VIELEN, 2017 gegründet, hat sie zur Solidarisierung gegen den erstarkenden Rechtspopulismus verfasst. Sie dient der Stärkung von Toleranz und demokratischen Werten aus der Kulturszene heraus in der Gesellschaft.
Aktuell häufen sich Berichte von Menschen, die Hass- und Drohmails von Seiten der neuen Rechten bekommen. Die Kulturbranche ist ein Träger von politischer Botschaft und von Werten wie Gleichberechtigung und Antidiskriminierung: Diese stimmen oft nicht mit dem überein, was so manche Partei gerade möchte.
Bei der Unterzeichnung dieser Erklärung geht es darum, dass sich Kultur- und Kunstinstitutionen zusammenschließen. Wenn eine Institution bedroht wird, betrifft es uns alle. Ihr steht nicht alleine. Wir sind mehr, wir sind eben viele. 

An dieser Erklärung wurden unterschiedliche Punkte kritisiert, z.B. die damit einhergehende Selbstverpflichtung zur Solidarisierung. Was bringt die Unterschrift mit sich?

Alle Selbstverpflichtungspunkte sind im „Soll“ formuliert. Es sind Vorschläge bzw. Empfehlungen: Jede Institution geht nach ihrem eigenen Maß an Möglichkeiten damit um.
Es geht darum, eine Diskussionsplattform zu schaffen. Der einzige in meinen Augen wirklich verpflichtende Punkt ist die konstruktive Auseinandersetzung mit der Thematik im Sinne der Kunst und im Sinne der Freiheit.
Ich frage mich, womit die Angst vor Verpflichtung und Teilnahme zu tun hat. Haben die Menschen Angst vor zusätzlicher Arbeit oder hat es damit zu tun, dass sie jetzt schon Angst davor haben, sich offen zu positionieren? Wahrscheinlich ist das auch davon abhängig, wer die Kritik dazu äußert.
Ich glaube aber tatsächlich, dass gerade der zweite Punkt ein unzulässiger ist, auch wenn er verständlich ist. Wenn wir schon so weit sind, könnte man auch sagen, diese Erklärung kommt zu spät. Ich glaube, wir haben es noch in der Hand. Ich glaube, eine Enthaltung ist gerade in solchen Zeiten, von einer so wichtigen und wirkungsstarken Universität wie der UdK, keine Option.
Eine Enthaltung ist im Grunde, polemisch formuliert, eine Abgabe von Macht.
Ich bin sehr stolz auf die Menschen, die gerade jetzt trotz erhaltener Drohungen weiterhin ihre Stimme erheben. Je weniger Leute das tun, desto gefährlicher wird das Ganze. Wir haben eine Verpflichtung, als Künstler*innen und auch als Institution hinter ihnen zu stehen. 

Wir brauchen jetzt 100 % Unisex-Toiletten ist ab dem Punkt falsch, wo wir die Personen vernachlässigen, die sich damit unwohl fühlen“

Du bist in deiner ersten Amtszeit im Studierendenparlament. Wie ist deine Erfahrung damit, hochschulpolitische Agenda, z.B. die Erklärung der Vielen, durchzusetzen? 

Ich war vorher an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg Studierendenvertreterin im akademischen Senat, daher bin ich nicht so neu in der Hochschulpolitik.
Dort habe ich erlebt, wie schwierig es für Studierende teilweise sein kann, ernst genommen zu werden. Genauso habe ich aber sowohl damals als auch jetzt an der UdK die Erfahrung machen dürfen, an vielen Orten auf Offenheit und Engagement zu treffen. Ich fühle mich z.B. von Seiten des Dekanats meiner Fakultät wahnsinnig gut betreut und gut aufgehoben. Ich erlebe da eine Dekanin, die ihre verantwortungsvolle Aufgabe – auch abseits politischer Forderungen – mit so viel Verstand, Fairness und Empathie ausübt.

„Wir müssen die breiteste und beste Lösung für die Studierendenschaft finden. Damit sich bestenfalls keine einzige Person diskriminiert fühlt.“

Mir geht es ähnlich mit meiner Arbeit im Allgemeinen Studierendenausschuss. Viele Türen werden für unsere Anliegen geöffnet. An der UdK arbeiten viele Menschen, die down für Wandel sind. 

Den AStA würde ich auch erwähnen. Ich arbeite aktuell an drei Punkten: die Geschlechtergerechtigkeitsfrage, die Erklärung der Vielen und auch an einer Corona Nothilfe für die Fakultät Gestaltung.
Dabei habe ich mit dem Referenten für Vernetzung und Interdisziplinarität, Max Liebstein, fast täglich Kontakt. Es ist einfach schön zu sehen, dass Menschen dasselbe wollen und auch gleichzeitig engagiert sind.
Ich wünsche mir natürlich auch, dass das mehr wird. Vielleicht treten ein paar Leute StuPa-Ausschüssen bei oder gründen ihre eigenen Initiativen.
Ich glaube, wichtig ist es, die Ansprechpartner*innen zu finden. Da stoßen viele an ihre Grenzen.
Ich bekomme viele Nachrichten von meinen Kommiliton*innen, die Ideen haben, aber nicht wissen, wie sie diese angehen können. Ich denke, dass eine Übersicht sehr hilfreich wäre.  

Ich kann mir vorstellen, dass es für viele Studierende sogar eine Hürde ist, andere Studierende aus der Vertretung anzusprechen. Zwar werden alle gewählten Namen veröffentlicht, wir bräuchten aber eigentlich eine schönere und übersichtlichere digitale Infrastruktur, um möglichst hindernisfrei in Kontakt zu treten. 

Eine tolle Unterstützung sind sonst auch die Frauenbeauftragten und ebenso die Kommission für Chancengleichheit. Es ist nicht nur ein Kampf miteinander oder gegeneinander, sondern vor allem ein Austausch, der wichtig ist. Zum Beispiel zu sagen „wir brauchen jetzt 100 % Unisex-Toiletten“ ist ab dem Punkt falsch, wo wir die Personen vernachlässigen, die sich damit unwohl fühlen. Die müssen wir genauso hören. Wir müssen die breiteste und beste Lösung für die Studierendenschaft finden. Damit sich bestenfalls keine einzige Person diskriminiert fühlt. 

„Es gibt UdK-Gebäude, in denen es keine einzige barrierefreie Toilette gibt. Das könnte mit ein Grund dafür sein, dass Menschen, die z.B. an einen Rollstuhl gebunden sind, dort nicht studieren, was ich fatal finde.“

Wir haben jetzt mit der Unterstützung der Erklärung der Vielen im Fakultätsrat Gestaltung einen kleinen Schritt in diese Richtung getan. Wie geht es sonst hochschulpolitisch bei dir weiter? 

Zum einen habe ich von vielen Studierenden mitbekommen, das sie aufgrund der Corona-Situation akut finanziell bedroht sind. Besonders betroffen sind z.B. Studierende mit eingeschränkter Arbeitserlaubnis, Kindern oder keinem Recht auf staatliche Förderung. Für diese Menschen versuche ich, eine Spendenaktion auf den Weg zu bringen.

[Kommentar Update 11.05.2020: Die Aktion ist erfolgreich angelaufen, die Orga der Verteilung ist in Arbeit und es sind schon viele Anträge und Gelder eingegangen. Kommende Woche tagt das Gremium zum ersten Mal. Ich freue mich sehr!]

Parallel arbeiten wir im StuPa-Ausschuss für Gleichstellung und Soziales am Thema Barrierefreiheit. Es gibt UdK-Gebäude, in denen es keine einzige barrierefreie Toilette gibt. Das könnte mit ein Grund dafür sein, dass Menschen, die z.B. an einen Rollstuhl gebunden sind, dort nicht studieren, was ich fatal finde. 

Dann Gendergerechtigkeit: großes Thema! Ich habe mit dem Ausschuss für Gleichstellung und Max Liebstein aus dem AStA Infos zum Thema zusammengetragen und einen Antrag formuliert, den wir im Akademischen Senat vorbringen. Das umfasst z.B. die Einführung des Gendersternchens in allen UdK-Dokumenten. Viele betroffene Personen, und das sind nicht so wenige, leiden. Sie fühlen sich nicht gemeint, nicht gesehen und dadurch auch nicht akzeptiert. 

„Ich genieße gewisse Privilegien, die viele andere Studierende nicht haben und finde es wichtig, sich nicht voneinander zu differenzieren, sondern im Gegenteil zusammenzuhalten.“

Ein anderer Punkt sind Gender-Toiletten, also Unisex-Toiletten. Wir haben uns mittlerweile in Absprache mit vielen Institutionen dazu entschlossen zu beantragen, das wir mindestens 50 % der Toiletten als genderneutral umwidmen wollen. Ein wichtiger Punkt ist hier aber die große Frage: Wie viel kostet der Umbau? Unserer Meinung nach muss man hier nicht zwingend Toiletten umbauen, sondern gerne einfach umbeschildern. Man kann auch einfach dazuschreiben: Dies ist eine genderneutrale Toilette mit Pissoir. 

Ein süßes Beispiel dafür ist vielleicht das Schild an der Grunewaldstr.-Toilette, wo jemand an das männliche Zeichen einen Pfeil für Frauen* hinzugefügt hat. 

Ja, da studiere ich. Das wird tatsächlich regelmäßig neu gemalt, da das am Ende der Semesterferien immer rückgängig gemacht wird. Das Gleiche habe ich auch aus der Hardenbergstraße gehört.
Wir fordern eigentlich nur permanente Schilder, die Nutzung wird von Studierenden schon längst frei gehandhabt. Auch fordern wir einen verschriftlichten Leitfaden für den Umgang mit Wort und Schrift im Kontext von Gender. Daran arbeiten die Frauenbeauftragten bereits aktiv. 

„Wenn jemand anfängt oder weitermacht, warum nicht wir?“

Was hält dich hochschulpolitisch am Ball? Was ist die Motivation hinter deinem Engagement? 

Ich habe ja ein Wahlversprechen abgegeben. 😉
Meine sehr bauchig-emotionale Antwort wäre aber wohl: Ich habe selber gerade das Glück, dass ich Kraft und Zeit dazu habe. Ich denke, dass es nicht für alle gleich leicht ist, sich einzubringen. Es sollte genau dafür bezahlte Stellen geben. Ich mache das ja ehrenamtlich gerade. Das ist auch völlig okay, ich mache das gerne weiterhin; aber natürlich wäre es schön, dafür zum Beispiel ein AStA-Referat zu schaffen. Ich genieße gewisse Privilegien, die viele andere Studierende nicht haben und finde es wichtig, sich nicht voneinander zu differenzieren, sondern im Gegenteil zusammenzuhalten. Ich weiß, wie schlimm es sein kann, sich nicht angesprochen zu fühlen.
Es gibt so viele Punkte, die erstaunen. An einer UdK, die in ihren Fachbereichen die breiteste Kunsthochschule Europas ist, genau da denke ich, müsste man ansetzen zu sagen: “Wenn jemand anfängt oder weitermacht, warum nicht wir?”