
Den meisten Obdachlosen bleibt durch die Maßnahmen der Politik aufgrund des Coronavirus nicht mehr viel. Flaschensammeln und das tägliche Betteln gestaltet sich schwierig.
Drängen die Maßnahmen die Obdachlosen, die am Rand der Gesellschaft sitzen, tatsächlich weiter in eine existenzielle Krise oder zeigt uns das Virus an dieser Stelle nur nochmal auf, dass wir in einer System–Krise leben?
Was wir aufeinmal erleben ist für die Obdachlosen selber von nicht sehr großer Bedeutung. Die schönen Ausflüge, mal ins Schwimmbad, mal ins Kino oder in einen Club, sind für uns Normalität. Doch was für die Obdachlosen Normalität ist sieht ganz anders aus. Sie haben nicht die hohen Standards, die wir haben. Wir sind es gewohnt ständig nach Draußen zu können, zu erleben und zu konsumieren. Wird uns einmal eine Grenze oder Einschränkung gesetzt, steigen direkt existenzielle Ängste in uns auf. Wir heulen rum, werden despressiv, launisch und jammern, dass das Leben keinen Sinn mehr hätte.

Photo: Zsófia Puszt / Bildredaktion
Peter Van Opdorp
Peter traf ich in der Jebenstraße. Er kommt aus den Niederlanden.
„I have no money at all so for me it’s not so bad. Actually the Corona is a friend. Because people don’t like me just like the Corona. The Corona is something good to the nature too. And i think we got the Corona because we don’t listen. It’s a lot of Modernation and a lot of factorys now have to close. So that’s good for the environment. So with Corona i have no problems. I‘m already on the ground and on a bad way there. And if you are in a bad situation the Corona can not hit you very much, I think. Your life can change in a second, when you live on the streets. This is normality. We assume that. I think the Corona hits more the people who have a home but who are not rich. For me it was a change in Positivity, because i had more stuff to do.“
Danny
Ich traf Danny am zoologischen Garten sitzend auf einer Decke an einer Baustelle.

Photo: Zsófia Puszt / Bildredaktion
„Für mich, also wie ich’s empfinde gibt es kein Corona, das ist erfundener Blödsinn. Also manchmal sind mehr Leute auf den Straßen und manchmal halt weniger. Also an Hunger sterbe ich aufjedenfall nicht! Zuessen bekomme ich immer, also jeden Tag. Von anderen Leuten oder ich gehe zu ner Hilfe. Und mit dem Betteln passt es auch. Das geht schon. Ich merke davon nichts, ich halte Corona für erfundenen Medienblödsinn. Es ist wie sonst, also andere Probleme habe ich ja schon! Ich bin letzten Winter barfuß rumgelaufen und mein halber Fuß ist jetzt ab. Der Fuß wurde dann amputiert. Das ist scheiße. Das Laufen ist schwer. Sehr schwer.“
Arim Jatzeck
Arim war Automechaniker bevor er obdachlos wurde. Nun sammelt er die wenigen Flaschen, die in der Corona–Situation noch übrig sind.
„Ich habe keinen Hunger im Moment. Hier gibt es immer Essen um 14 Uhr. Zwei Sandwiches mit Käse. Aber ich habe eh keinen Appetit weil ich Depressionen und andere Probleme habe. Oder bin ich schon tot? Atme ich noch? Ohh ja leider! Ich lebe noch leider! Ich kann wirklich nichts essen, weil ich in einer gestressten Situation bin, wegen den Depressionen. Ob jetzt mehr oder weniger Essen macht keinen Unterschied. Ich sammele aber trotzdem Flaschen, weil die Bundesargentur für Arbeit ist geschlossen. Der Jobcenter ist geschlossen. Das ganze System ist kaputt.“

Photo: Zsófia Puszt
Iris
Iris traf ich ebenfalls in der Jebenstraße. Sie hockte auf dem Boden und war mit ihren Gedanken wo anders.
„Ich hab es ja nicht mitgekriegt mit Corona. Ich hatte es erst später mitgekriegt. Ich war im Krankenhaus und beim Arzt und habe dort eine Spritze bekommen wegen einem epileptischen Anfall und Gelenkrheuma. Also da war ich dann eine ganze Weile, bin ins Tief gefallen und im Mai war ich dann wieder Draußen. Dann habe ich was gegessen und habe mich gewaschen. Und es war auch schlimm mit der Wohnung, die ich mal hatte. Die kann ich ja nicht mehr bezahlen und dann gab’s Stress. Ich wollte da rein und die behalten, aber ging nicht. Naja ich war auf jeden Fall fix und fertig und psychisch nicht da. Ich hab das gefühlt gestern erst gelesen mit dem Corona. Bei mir war alles so schlimm gewesen, da hab ich das nicht mitgekriegt.“
Auch Herr Jens Aldag, ein Mitarbeiter der Kälteinitiative betont, dass die Obdachlosen stetig solchen Gefahren, wie denen des Virus, ausgesetzt seien.
Herr Jens Aldag: „Wenn ein Obdachloser halt hustet dann zieht er sich vielleicht zurück. Und das die Fieber und Ähnliches einfach so auskurieren, das sind die gewohnt. Es kommt ja immer darauf an von welchem Standort und von welcher Höhe man das betrachtet. Ich meine unsereins verliert ja alleine etwas durch die Einschränkungen. Da gibts Leute die ihren Job verlieren oder eben auch Angst davor haben. Obdachlosen muss man erst oft und lange überhaupt das Gefährdungspotenzial deutlich machen.“

Photo: Zsófia Puszt / Bildredaktion
Eine andere Sicht
„Das ist bei denen so nach dem Motto; mein Gott ich hab andere Probleme. Was interessiert mich jetzt dieses Virus, ich bin ständig irgendwelchen Gefahren ausgesetzt an Leib und Leben, schlafe ungeschützt, vielleicht irgendwo Draußen wo mich jederzeit irgendjemand überfallen kann oder was wir die letzten Jahre öfters hatten, dass Obdachlose angezündet wurden. Das sind halt ganz andere Rahmenbedingungen unter denen die Obdachlosen mit dem Virus konfrontiert worden sind. Das ist grausam und gruselig, aber es ist so. Aus deren Sicht ist dass so; ja was soll dieser Virus jetzt noch.“
Es geht um das grundlegende Überleben
„Also wenn gehts dann wirklich um das ganz Konkrete. Also dass man kein Essen mehr bekommt, nicht mehr betteln oder Zeitungen verkaufen kann. Da gehts dann doch tatsächlich um diese ganz handfesten, konkreten Sorgen aber nicht um die existenziellen Ängste. Unsereins denkt ja dann auch längerfristig, an die Perspektive oder man macht sich Sorgen über die Wirtschaftslage. Aber das interessiert einen Obdachlosen natürlich nicht, ob die deutsche Wirtschaft jetzt einknickt. Das ist völlig jenseits deren Gedanken. Bei den Obdachlosen geht es vielmehr so dermaßen um das basale Überleben.“

Keiner der Obdachlosen ist infiziert
„Das ist wirklich erstaunlich, dass wenige der Obdachlosen infiziert sind. Gerade auch diese Notunterkünfte sind noch prekärer als andere Wohnmöglichkeiten und es hat dort trotzdem keinen Fall gegeben. Wir hätten eher vermutet, dass die Obdachlosen sich schneller infizieren, da sie eben anfälliger für Krankheiten sind. Aber direkt in den Obdachlosenangeboten hatten wir überhaupt keinen Quarantäne Fall. Es musste keine Einrichtung geschlossen werden oder in Quarantäne gehen. Also toi toi toi, das ist gut gelaufen.“

Die Obdachlosen sind Überlebens-künstler*innen
„Ehrlich gesagt wissen wir gar nicht genau wo die Obdachlosen alle sind. Das ist schon ein Phänomen. Es gibt ja viel weniger Unterbringungsplätze, obwohl 400 Plätze ja jetzt extra nochmal im 24/7–Betrieb aufgezogen worden sind. Dadurch entsteht für die Betroffenen natürlich auch die Sicherheit, dass sie morgens nicht wieder raus müssen und nicht wissen wo sie schlafen. Das hat extrem viel geschärft und ist sehr kraftgebend. Aber insgesamt wissen wir gar nicht wo die Leute sind, denn es ist eigentlich die Zeit und die Temperaturen wo immer viel mehr Leute auf den Straßen zu sehen sind. Das ist sehr unklar. Sind es weniger? Haben sie die Stadt verlassen oder ist es versteckter? Aber auch wie das vorher funktioniert hat ist uns oft ein Rätsel. Die Leute sind halt auch Überlebenskünstler.“
Die Politik hilft. Aber es reicht nicht.
„Grade hier in Berlin hat die Senatorin Breitenbach schon sehr viel gemacht was gut standhalten kann, zum Beispiel die 400 Plätze im 24/7–Betrieb und die quarantäne Station. Das ist auch bundesweit die Einzige! Die dann die Frage löst wo die Obdachlosen hin könnten, wenn die in Quarantäne kommen. Andere Leute schickt man Nachhause und sagt ihr dürft das Haus nicht verlassen. Bei Obdachlosen ist das tatsächlich immer ungelöst gewesen, vor allem kann man in so einem Fall ja nicht einfach rausgehen und sich was zuessen holen. Man braucht medizinische Versorgung, aber die ist auch realisiert worden. Also das mal vorweg geschickt, dass wirklich an einigen Stellen sehr viel gemacht worden ist. Auf der anderen Seite reicht es sicherlich auch nicht hin. Wünschenswert wäre natürlich gewesen, dass es für jeden der es will und annimmt eine 24/7 Unterbringung gibt.“
Mangel ist Standard

„Am Anfang waren weder Masken noch Handschuhe vorhanden. Es sind dann irgendwann über die Senatsverwaltung und die Verbände Spenden akribiert worden, was dazu führt das einige Einrichtungen wieder öffnen konnten. Das war total wichtig, denn das sind ja die einzigen Möglichkeiten medizinischer Grundversorgung für die Leute. Aber drei bis vier Wochen hat das schon gedauert, bis genügend Spenden da waren. Und ein weiterer Faktor war auch die mangelnde Ausrüstung. Aber Mangel ist ja im Bereich der Obdachlosenarbeit sowieso ein ständiges Thema.“
Ohne zivilgesellschaftliches Engagement läuft nichts
„Das private Organisationen die Hilfe anstelle der Politik übernehmen ist eigentlich schon immer so gewesen. Also im Grunde genommen spiegelt es das wieder was es auch in den letzten dreizig Jahren schon immer gab. Das ohne zivilgesellschaftliches Engagement, da gar nichts laufen würde. Es gab sehr viele engagierte Bürger, die Masken genäht, gewaschen und gekocht haben. Es wurde unheimlich viel improvisiert und versucht mit Kreativität eine saferen Umgang zu finden. Man musste gucken was möglich ist und das wichtigste war erstmal die Not zu lindern, anstatt jetzt so akribisch mit den Anordnungen umzugehen. Denn das ist für Obdachlose schlicht unmöglich. Schon alleine das adäquate Händewaschen und eben die ganze Hygienegeschichte.“
Die Anforderungen umzusetzen ist unmöglich
„In den Räumlichkeiten konnte man diese Anforderungen einfach nicht herstellen und dann haben viele Einrichtungen tatsächlich geschlossen und dann eben Essensausgaben und Lunchpakete bereitgestellt. Das lief dann oftmals so, dass die Leute kommen und gehen konnten, wann sie wollten. Die konnten sich dann das Essen nehmen und auch wieder gehen ohne sich dort aufzuhalten.“

Beziehungsarbeit auf Distanz!?
„Durch die Anforderungen und die Distanz gestaltet sich die Beziehungsarbeit natürlich schwierig. Insbesondere fallen eben auch die Tagesangebote weg, die davon leben, dass man auf anderen Ebenen Kontakt hat, das man soziale Nähe und Informationen bereitstellen kann. Außerdem das man sich wirklich Zeit nehmen kann, um sich den Leuten zu nähern. Das ist jetzt extrem eingeschränkt. Früher hat man noch längere Gespräche geführt und jetzt sind es nur noch kleine Wortsprenkel. Dieser soziale Einschnitt ist schon ganz schön heftig in dem Bereich.
Für die Obdachlosen ist es natürlich sehr wichtig einen Ansprechpartner zu haben, bei dem man ernst genommen wird.“
Der Bereich ist schon immer finanziell knapp
„Die Politik hat sich auch immer da mit rein begeben und dazu gegeben, aber auch immer prekär finanziert. Man versucht schon immer was zu machen, aber der ganze Bereich ist schon finanziell immer sehr knapp ausgestattet und ist immer auf Improvisationen und Notlösungen angewiesen. Es war in der Coronasituation jetzt extrem wichtig zu sehen, dass es Zivilgesellschaft gibt, dass die Leute helfen und das es Hilfen vor Ort gibt. Da gab es unheimlich viele Lösungen. Von allen Ecken kam sehr viel Hilfe.“
Die Obdachlosen, denen Erlebniswelten so oder so verschränkt sind, nehmen den Virus nicht wirklich wahr. Für die Obdachlosen ist es nichts anderes als die übliche Kunst zu überleben. Für uns löst der Virus eine existenzielle Krise aus.