antidiskriminierung
offener brief
waffenstillstand

Wo bleibt die Solidarität?

Selektive Solidarität, Zensur und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Dieser Brief wurde von einer Koalition von Studierenden als Antwort auf die Reaktion der UdK auf die Krise in Gaza geschrieben. Er ist als erster Schritt gedacht, um einen Dialog zwischen den Studierenden zu eröffnen und Verbesserungen an unserer Universität zu fordern.

Photo of a person with long red hair holding a sign at a demonstration with red roses and a crowd. The text says "occupation no more".
Bild von dem Global South United Demo 28.10.23.

(To read this article in English, click here)

Der folgende Brief gibt die Meinung der Unterzeichner*innen wieder und wurde nicht von eigenart Magazin oder seinen Freiwilligen verfasst, geleitet oder initiiert.

Dieser Brief wurde ursprünglich am 29. Oktober auf einer externen Website veröffentlicht. Ihr könnt ihn hier unterschreiben. die Unterschriften werden demnächst veröffentlicht.

Statement bezüglich der Auswirkungen der offiziellen Stellungnahme der Universität der Künste Berlin Oktober 2023

Als vertretende Studierende der Intersektionellen Arbeitsgruppe gegen Diskriminierung, schreiben diese Statement, um unsere Besorgnis über die Auswirkungen der von der UdK am 10. Oktober online veröffentlichten Stellungnahme zum Ausdruck zu bringen. 

Die erwähnte Stellungnahme kam als Reaktion auf den koordinierten Angriff vom 7. Oktober, bei dem zahlreiche Israelis im Süden Israels an der Grenze zum Gazastreifen getötet wurden. Die UdK verkündete ihre Solidarität mit den israelischen Studierenden und Professor*innen der Fakultäten ohne ein solches Bekenntnis für palästinensischen Studierenden und Professor*innen der Universität zu verkünden. Damit ignoriert die Universität die Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die der Staat Israel in den letzten 75 Jahren kontinuierlich gegen das palästinensische Volk begangen hat. Diese selektive Solidarität zeigt eine offensichtliche Missachtung des palästinensischen Lebens und lässt die betroffenen Studierenden, Professor*innen und Mitglieder der Universität unberücksichtigt, die um den Verlust von Angehörigen und Freunden in Palästina trauern.

In einer Zeit, in der die politische Rhetorik dazu dient, koloniale Gewalt zu beschönigen, Rassismus zu schüren und die Gefahr besteht, dass schädliche Stereotypen und Handlungen legitimiert werden, ist es für akademische Einrichtungen wie die UdK von entscheidender Bedeutung, Nuancen und Empathie wieder in den Diskurs einzubringen und ihn in einem Rahmen der sozialen Gerechtigkeit zu verankern. Als Europas größte Kunstuniversität und eine Institution, die stolz auf ihr internationales Image ist, hat die UdK die Verantwortung, Israels Genozid am palästinensischen Volk zu verurteilen. Gleichzeitig muss klar gestellt werden, dass unsere jüdischen Mitmenschen und ihre Religion nicht mit dem israelischen Regime und seinen Handlungen gleichgesetzt oder für diese verantwortlich gemacht werden dürfen und dass dem Antisemitismus kein Platz im Kampf gegen jegliche Unterdrückung gegeben werden darf. Wir trauern um alle unschuldigen Opfer unter der Zivilbevölkerung und sind uns zugleich bewusst,  dass nicht alle Menschenleben in gleichem Maße gewürdigt oder im aktuellen Diskurs hervorgehoben werden.

Wir kritisieren nicht die Solidarität mit einer Zivilbevölkerung an sich, im Gegenteil: was wir kritisieren, ist das Fehlen derselben, denn weder die UdK noch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) oder der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) haben ein einziges Wort der Solidarität für diejenigen geäußert, die den Tod ihrer Familien und Freunde in Palästina betrauern. Bislang wurden im besetzten Westjordanland 109 Palästinenser*innen getötet, während im Gazastreifen6.547 Menschen unter den insgesamt 7.028 Opfern bereits identifiziert werden konnten. Außerdem wurden durch die israelische Aggression 19.743 Menschen im Gazastreifen verletzt und etwa 1,4 Millionen Menschen verdrängt. Die 2,2 Millionen Bewohner des Gazastreifens sind seit 75 Jahren einer grausamen und illegalen Form der kollektiven Bestrafung ausgesetzt.

Sie habenkeine Nahrung, kein Wasser, keinen Strom und keinen Treibstoff, sind unter den Trümmern begraben und leben in ständiger Angst vor dem Tod. Die Bevölkerung des Gazastreifens hat keinen Ausweg. Da im Gazastreifen keine Luftschutzbunker zur Verfügung stehen, wurden Menschen, die Zuflucht suchten, auf tragische Weise durch israelische Luftangriffe auf Krankenhäuser, Schulen, Kirchen und sogar auf die ausgewiesenen Sicherheitsrouten getötet. (Stand 29.10.23; 16:01) Israel erteilt derzeit “Warnungen” für die Evakuierung des Al-Quds-Krankenhauses  macht damit deutlich, dass es weiterhin Kriegsverbrechen begehen wird, indem es einen Zufluchtsort bombardiert.

Währenddessen beobachten wir eine einseitige Unterstützung der deutschen Regierung gegenüber einem Apartheidstaat, der einen einseitigen Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung führt. Kurz gesagt, der deutsche Staat unterstützt den Völkermord in Gaza.

In Berlin erleben wir täglich einen ungebrochenen Hass, Rassismus und Diskriminierung gegenüber Palästinenser*innen und Menschen, die sich solidarisch zeigen. Angesichts des bereits bestehenden strukturellen Rassismus innerhalb der deutschen Polizei, beobachten wir mit Schrecken die Kriminalisierung der Solidarität mit Palästina sowie das Verstummen von Stimmen, die den Staat Israel kritisieren, insbesondere in Kultureinrichtungen. Die damit verbundenen unvermeidlichen Auswirkungen auf die arabische und nahöstliche Community in Deutschland können im Zusammenhang mit dem zunehmenden anti-Muslimischen Rassismus, der Rassifizierung des Terrorismus und der täglichen Entmenschlichung von BIPOC Menschen nicht ignoriert werden.

Als Studierende sind wir beschämt, dass die Universität ihrer Pflicht als unabhängige Bildungseinrichtung nicht nachkommt. Die UdK übernimmt unkritisch staatliche Vorgaben, während rechtsextremes und faschistisches Gedankengut in der Öffentlichkeit zunimmt und in den deutschen Parlamenten verankert werden. Wie in dem offenen Brief von Verso Books mitgeteilt wird, “ist ein Gesetz zur Reform der Staatsbürgerschaft in Arbeit, das es dem deutschen Staat ermöglicht, Visa und Staatsbürgerschaft zu verweigern und Aufenthaltsgenehmigungen zu widerrufen, wenn der Vorwurf des Antisemitismus nach den IHRA-Kriterien erhoben wird, die jede Kritik am israelischen Staat als antisemitischen Akt einstufen.” Eine angeblich antirassistische Universität wie die UdK muss den aktuellen Zustand der deutschen Politik anprangern, in der sich der Kanzler darüber freut, endlich Menschen “im großen Stil” abschieben zu können.

An dieser Stelle ist es außerdem notwendig, die politische Geschichte der UdK zu erwähnen, insbesondere ihre Zusammenarbeit mit dem NS-Regime bei der Erziehung der Öffentlichkeit zu loyalen Teilnehmern*innen an diesem Regime. Diese historische Tatsache gibt Anlass zur Sorge, dass sich die Fehler der Vergangenheit wiederholen und dass die Universität ihre Geschichte nicht angemessen reflektiert und aus ihr lernt. Die Wahrung der intellektuellen Unabhängigkeit der Universitäten ist essentiell, weshalb wir die Frage aufwerfen, warum Bildungseinrichtungen in Deutschland die aktuelle Staatsräson unkritisch übernehmen.

Studierende der UdK waren schon mehrmals mit Problemen im Zusammenhang mit der Rede- und Meinungsfreiheit konfrontiert. Diese Probleme sind bezeichnend für allgemeinere Bedenken hinsichtlich des Engagements der Hochschule für einen freien Gedankenaustausch und offenen Diskurs sowie für den Kampf gegen strukturelle Unterdrückung innerhalb der UdK. Studierende haben bereits zuvor Bedenken darüber geäußert, dass die Universität rassistisches und kolonialistisches Gedankengut unhinterfragt in den Lehrplan einfließen lässt. Als international renommierte Bildungseinrichtung sollte die UdK aktiv für Inklusivität, Internationalität und Aufgeschlossenheit eintreten. Sie sollte den Dialog und das kritische Denken als wesentliche Bestandteile der Hochschulbildung aktiv fördern. Daran scheitert die UdK weiterhin.

Wir, die Studierenden, fordern Folgendes:

  1. Dass die Universität klar zum Ausdruck bringt, dass sie die Menschlichkeit der Palästinenser*innen anerkennt, und dass sie den Schaden eingesteht, den ihre Stellungnahme für die betroffenen Studierende verursacht hat und in Zukunft verursachen könnte.
  2. Dass die Udk gegenüber der deutschen Regierung, unter der Leitung von Bundeskanzler Olaf Scholz, einen sofortigen Waffenstillstand und die Aufhebung der israelischen Blockade des Gazastreifens fordert, um einen sicheren und ungehinderten Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen wie Wasser, Lebensmitteln, Treibstoff und medizinischen Gütern zu ermöglichen.
  3. Dass die Universität konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung ergreift. Dazu gehört der Ausbau des Teams für “Antidiskriminierung und Diversität” und die Gewährleistung seiner Autonomie und Unabhängigkeit bei der Unterstützung der Studierenden und der Förderung struktureller Veränderungen. Dies sollte mit der Einrichtung von Schutzmaßnahmen für Studierende, die marginalisierten Gruppen angehören, und für alle Mitglieder der Universität einhergehen, die mit ethnisch-religiösen Belästigungen, Einschüchterungen und Drohungen konfrontiert sind.
  4. Eine Verbesserung des psychologischen Beratungsangebots der Universität für Studierende mit besonderem Fokus auf Antidiskriminierung. Dies würde die Einstellung von mehr Personal und eine Aufstockung der Mittel erfordern.
  5. Dass die Universität ihre Ressourcen nutzt und in sie investiert, um rechtlichen Notlagen von Studierenden mit Migrationshintergrund vorzubeugen und ihnen zu helfen, insbesondere in prekären Visums- und Asylsituationen.
  6. In einer sich verändernden Rechtslandschaft brauchen Studierende und Lehrkräfte der UdK konkrete Zusicherungen, dass sie ihre akademische Freiheit und die Freiheit der Meinungsäußerung ausüben können, ohne einen Ausschluss befürchten zu müssen, und gleichzeitig die Grundsätze der freien Meinungsäußerung innerhalb der Grenzen der Antidiskriminierung wahren können.
  7. Anerkennung der Mitschuld und Rolle der Universität während des NS-Regimes, einschließlich der Erwähnung dieser Geschichte auf der UdK-Website. Dies sollte als ein fortlaufender und sich entwickelnder Prozess gesehen werden, der darauf abzielt, die Vergangenheit der Universität mit aktuellen politischen Themen im In- und Ausland zu verbinden.
  8. Die Universität muss ihre Rolle als Bildungseinrichtung ernst nehmen und daher die Nutzung universitärer Räume für Dialoge und Debatten ermöglichen und aktiv fördern, in denen Bedenken offen und ohne Angst vor Voreingenommenheit oder Belästigung vorgebracht und diskutiert werden können.


Diese Stellungnahme und Forderungen wurden von der AG Intersektionale Antidiskriminierung verfasst. Sie sind das Ergebnis ständiger Dialoge und Debatten mit Beteiligung verschiedener Studenten, Mitglieder der AG und neuer Studenteninitiativen. Außerdem wurden direkte Anregungen aus jüdischer und palästinensischer Sicht aufgenommen​​​​​​​.

Die AG Intersektionale Antidiskriminierung wurde 2020 im Zuge der für Black Lives Matter Bewegung gegründet und hat seither 19 Forderungen für intersektionelle Antidiskriminierung an der UdK aufgelistet. Ziel der AG ist es, verschiedene studentische Initiativen zusammenzubringen, die sich gegen Rassismus und andere Formen von Diskriminierung einsetzen, wie Interflugs, IDA, ASTA, Fachschaften, Mitglieder des Studierendenparlaments, andere autonome studentische Gruppen und Einzelinitiativen. Diese Koalition ist ein Weg, um einen Ort für den Austausch zwischen Studierenden zu schaffen, um kollektive Unterstützung zu sammeln und sich gegenseitig auf dem Weg der Auseinandersetzung mit institutioneller Unterdrückung zu schulen und die gemeinsame Arbeit für strukturelle Veränderungen an der UdK und darüber hinaus zu stärken.